Irmtraud Ruder / 1944

Mit-Initiatorin und Mitbewohnerin des Beginenhofs in Schwerte-Ergste.

Ideen liegen manchmal in der Luft, meint Irmtraud Ruder, eine der beiden Initiatorinnen des ersten Beginenhofes im Ruhrgebiet und in NRW. Es war die Idee eines generationenübergreifenden Wohnprojekts von Frauen für Frauen, die sich bewusst waren über veränderte Lebensweisen im Zusammenleben der Generationen. Im Jahr 2005 wurde das erste Haus in Schwerte-Ergste, Kiebitzweg 2 bezogen. 2006 hatte Schwerte schon den zweiten Beginenhof in der Schützenstraße 22b. Dortmund folgte im Jahr darauf. In Unna wurde 2006 ebenfalls ein Beginenhof gegründet, der Essener Hof im November 2007 bezogen. In Gelsenkirchen, Iserlohn, Münster und Bochum und Bocholt gibt es Planungen. Der Hof in Bielefeld wird z.Zt. bezogen.

Dass Irmtraud Ruder eine der beiden Initiatorinnen des ersten Beginenhofes im Ruhrgebiet wurde, kam nicht von ungefähr. Sie hatte bereits während ihrer Ehe, die 1986 geschieden wurde, eine neue Orientierung gesucht. 1980 wurde sie eine der ersten „Frauenstudienfrauen“ an der Dortmunder Universität. Diese wissenschaftliche Weiterbildung bot in der Montanregion Ruhrgebiet zum ersten Mal eine Möglichkeit für bildungshungrige Frauen ohne Hochschulabschluß, an der Universität zu studieren. Irmtraud Ruder beschäftigte sich während dieses Studiums u.a. mit dem kirchlichen Frauenbild, schrieb eine Studienarbeit über die mittelalterlichen Beginen und ihre Abschlussarbeit 1984 über die Verabschiedung von den tradierten Bildern der Eva und der Maria. Zu diesem Zeitpunkt schienen ihr die mittelalterlichen Beginen als Vorbilder für moderne Frauen zu streng und zu eingebunden in ein religiöses Leben. Näherliegend waren „Frauenstudien“-Diskussionen und Fragen um das Leben im Alter mit der Devise: nicht allein, nicht ins Heim, nicht bei den Kindern.

Nach Abschluss der „Frauenstudien“, die ihr Weltbild veränderten, wurde Irmtraud Ruder wieder berufstätig. Sie arbeitete als Angestellte und Referentin an der Volkshochschule Schwerte und führte Frauenstudienreisen durch. 1990/91 war sie als Verwaltungsleiterin des Projektes „Freiräume“ beim Kirchentag im Revier tätig. Anschließend wurde sie Geschäftsführerin des Deutschen Forums für Figurentheater in Bochum. Während einer Studienreise Ende der neunziger Jahre auf den Spuren der Malerin Paula Modersohn-Becker nach Worpswede fiel ihr im Bremer Schnoor ein Plakat in die Augen: „Beginenhof Bremen: Expo-Projekt 2000“. Sie hörte auch durch eine Freundin vom (nicht realisierten) Beginenhofprojekt in Mülheim/Ruhr und von der Gründung des Beginenhofs Tännich, wohin die Freundin dann zog.

Angeregt durch diese Beispiele war in ihr die Idee geboren, auch in Schwerte einen solchen Hof zu errichten. Dafür brauchte es jedoch Mitstreiterinnen. Irmtraud Ruder fand sie im Schwerter „Lila Salon“ in personam Lore Seifert, pensionierte Gleichstellungsbeauftragte der Vereinigten Kirchenkreise Dortmund und eine der Urmütter des generationenübergreifenden Wohnprojekts W.I.R. am Dortmunder Tremoniapark. Lore Seifert kannte die mittelalterlichen flandrischen Beginenhöfe, wohnte in Schwerte und war dort in verschiedenen Projekten aktiv. Es entwickelte sich eine fruchtbare und intensive Zusammenarbeit. Eine Jugendstilvilla mitten in der Stadt und doch im Grünen war der erste Traum, der aber mangels Geld nicht realisiert werden konnte. Auf der Suche nach Projektträgern und Finanziers wurden Irmtraud Ruder und Lore Seifert anfänglich als zwei ältere Damen mit exotischen Ideen belächelt und die Presse vermutete irgendeine neue Sekte. Das änderte sich jedoch bald, als sie im November 2001 den Förderverein Schwerter Beginenhof e.V. gründeten und den 1. und 2. Vorsitz übernahmen. Sie hatten sich kompetente Mit-Gründerinnen als Multiplikatorinnen gesucht und auch gefunden: die Schwerter Gleichstellungsbeauftragte, die Frauenpfarrerin, die ehemalige Bürgermeisterin und eine ehemalige Richterin. Eine intensive Öffentlichkeitsarbeit mit Vorträgen und einer stetigen Pressearbeit führte zum Bekanntwerden der Idee eines generationenübergreifenden Wohnprojekts von Frauen für Frauen.

Den Namen „Beginenhof“ wollte Irmtraud Ruder wegen der religiösen Anklänge zunächst nicht gerne benutzen. Sie ließ sich aber bei einem Besuch des Bremer Beginenhofes von dessen Initiatorin Dr. Erika Riemer-Noltenius eines Besseren belehren. Der Name, so Riemer-Noltenius, transportiere sehr viel Kraft und die historische Dimension sei nicht zu unterschätzen. Sie veranlasste Irmtraud Ruder zu dem Wunsch, gegen die in der Schule verordnete Daten- und Schlachtengeschichte eine andere Geschichte zu setzen. Seit 2008 arbeitet Ruder als Vorsitzende des Dachverbandes der Beginen Deutschlands an der Aufgabe, die Geschichte der mittelalterlichen Beginen sichtbar zu machen. Aktuell besuchte sie in Wismar die Leiterin des Museums, deren Büro im ehemaligen „Beguinenhof“ untergebracht ist, mit dem Anliegen, die Frauen in Wismar für die Beginengeschichte zu sensibilisieren und ehemalige Beginenkonvente durch Gedenktafeln sichtbar zu machen.

Auch möchte sie angesichts fernöstlicher Spiritualitätsimporte zeigen, dass es eine große religiöse Bewegung von Frauen im Abendland gab. Ganz pragmatisch ist der Name „Beginenhof“ auch für die Öffentlichkeitsarbeit gut, meint sie inzwischen, denn so gibt es immer einen Anknüpfungspunkt für Diskussionen. Für die Öffentlichkeitsarbeit hat sie sich auch eine Beginentracht nähen lassen – wobei sie sich nicht als „Begine“ versteht. Der Name könne hier und heute in schwerte inhaltlich nicht gefüllt werden, sagt sie, weil jede einzelne Mitbewohnerin oder Unterstützerin eine andere Vorstellung davon hat, was eine „moderne Begine“ sein könnte. Irmtraud Ruder selbst orientiert sich an der feministischen „Affidamento“-Philosophie, die die Wertschätzung von Frauen untereinander und das Wachsen am Mehr der Anderen als zentralen Wert einer feministischen Haltung postuliert.

Seit 2005 wohnt Irmtraud Ruder mit weiteren zwölf Frauen und sechs Kindern im Beginenhof Ergste im Kiebitzweg 2. Die Älteste ist 73 Jahre, die Jüngste ist 40. Fünf Frauen sind berufstätig. Vier sind alleinerziehend. Im Schwerter Beginenhof II wohnen zwölf Frauen, davon zwei Rollstuhlfahrerinnen. Weitere Ehrenämter füllt Irmtraud Ruder als ausgebildete Senior-Trainerin aus. Sie organisiert ein Nachbarschaftscafe in einem Familienzentrum der AWO in Schwerte mit alter türkischer und alter deutscher Nachbarschaft. Und sie bietet in der Gesellschaft für humanistische Völkerverständigung (Capek-Gesellschaft) in Hagen ein Exkursionsprogramm an. Zur Aufbesserung ihrer kleinen Rente ist sie seit 2000 an der VHS Schwerte als Kursleiterin tätig.

Am 13. November 2009 erhielten Irmtraud Ruder und Lore Seifert die Stadtmedaille von Schwerte für ihr hervorragendes ehrenamtliche Engagement für die Beginenhöfe Schwerte.

Hanne Hieber / Dortmund

Orte:

Beginenhof Schwerte-Ergste, Kiebitzweg 2, 58239 Schwerte (gelegen in einer Öko-Neubausiedlung am Elsebad)
Beginenhof Schwerte, Schützenstraße 22b, 58239 Schwerte

Literatur:

Vorstand des Vereins Schwerter Beginenhöfe e.V.: Beginenhof in der Öko-Siedlung im Förderverein Schwerter Beginenhöfe e.V., 58239 Schwerte, Kiebitzweg 2, Tel: 02304-72249, beginenschwerte@versanet.de, www.schwerte.de/schwertefuerschwerter-frauen-wohnprojekt

Zitation: Hieber, Hanne, Irmtraud Ruder, Version 1.0, in: frauen/ruhr/geschichte, https://www.frauenruhrgeschichte.de/biografien/irmtraud-ruder/

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