Frau R. Frau Sch. Frau K. / 1930er 1950er

Paradies - Die Decke fürs Leben

Mit seinem Stammhaus in Neukirchen-Vluyn ist das mittelständische Familienunternehmen Paradies GmbH Gebr. Kremers einer der führenden Bettwarenhersteller Europas. 1848 begann der Gründer der Firma, Wilhelm Kremers, mit der Herstellung von Watte. Bereits 1848 verlegte er die Produktionsstätte auf das jetzige Betriebsgelände und nahm zusätzlich die Herstellung von Steppdecken auf. Eine kaufmännisch und technisch umsichtige Betriebsführung ließ das Unternehmen ständig expandieren. Seit 1870 bot die Steppdeckenfabrik Arbeitsplätze hauptsächlich für Frauen. Mit Übernahme der angesehenen Paradiesbettenfabrik M. Steiner und Sohn aus Frankenberg/ Sachsen im Jahre 1965 wurde das traditionsreiche Warenzeichen Paradies, das als eines der ältesten Warenzeichen gilt, übernommen.

Mitglieder der Frauengeschichtswerkstatt Neukirchen-Vluyn haben Arbeiterinnen dieser Firma befragt. Auf Tonbandmitschnitten, die heute im Stadtarchiv aufbewahrt werden, hielten sie Informationen über die Arbeitswelt und über das subjektive Erleben der Arbeitsverhältnisse in den dreißiger und fünfziger Jahren fest, die sonst keine Überlieferung gefunden hätten. Diese und weitere mündliche Geschichtsquellen bildeten die Grundlage für einen Stadtrundgang, den die Geschichtswerkstatt anlässlich des 100-jährigen Stadtjubiläums im Jahre 1997 erarbeitete.
Bei der Produktion von Steppdecken gibt es zahlreiche verschiedene Arbeitsgänge, die in den dreißiger Jahren streng in Aufgaben für Männer und Frauen unterteilt waren. Die Männer waren, außer an den Webstühlen, in den Bereichen Verpackung, Büro und der sogenannten „Kratzkammer“ beschäftigt, wo das Füllmaterial für die Steppdecken – Schafwolle, Krauswolle und Watte – in Ballen angeliefert und gelockert wurde. Zwischen 70 und 90 Frauen arbeiteten an den Nähmaschinen und an den Steppmaschinen. Sie waren zuständig für das Einspannen der Decken in die Rahmen als Vorarbeit für das Füllen und das Abzupfen der am Rand überstehenden Wolle. Sie kontrollierten, schrieben Etiketten und gaben Material aus.

Die Männer an den Webstühlen wurden nach Akkordleistung bezahlt, das ergab bei einem guten Weber einen Wochenlohn zwischen 60 und 70 RM (Reichs-Mark) Brutto. Die Frauen erhielten einen Stundenlohn: Frau R., geboren 1919, begann vierzehnjährig als ungelernte Kraft bei der Bettwaren-Firma Samanns in Vluyn zu arbeiten. Sie erhielt einen Stundenlohn von 14,9 Pfennige. Vier Jahre später hatte er sich bei einem zwölfstündigen Arbeitstag auf 18,9 Pfennige erhöht. Bessere Bezahlung, bessere Arbeitsbedingungen und die Zahlung von Weihnachtsgeld ließen Frau R. im April 1938 zur Firma Paradies wechseln. Die Arbeitszeit dauerte montags bis freitags von 7 Uhr bis 17 Uhr. Samstags von 7 Uhr bis 12 Uhr. Das Putzen der Büroräume in den Nachmittagsstunden des Samstags gehörte zur Aufgabe der Frauen.

1939 drängte die sogenannte Doppelverdiener-Kampagne, die bereits in der Weimarer Republik, verstärkt jedoch mit Machtübernahme der Nationalsozialisten geführt wurde, verheiratete Frauen auch bei den Gebr. Kremers aus der bezahlten Erwerbstätigkeit. Der Kampagne lag das Diktum zugrunde, verheiratete Frauen und ihre Kinder wären grundsätzlich durch einen erwerbsarbeitenden Mann „versorgt“. Männer übernahmen die freigezogenen Arbeitsplätze, die nationalsozialistische Propaganda sprach von „Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen“. 1941 wurde die zivile Steppdeckenproduktion in der Firma Gebr. Kremers eingestellt, stattdessen fertigte man hier nun wattierte Wehrmachtshosen und -jacken. Der Stundenlohn betrug zu dieser Zeit 55 Pfennige. Im Dezember 1944 schloss die Firma vorübergehend: das Material war knapp, der Absatz stagnierte, die Männer waren im Krieg.

In den 1950er Jahren nahm die Firma die Produktion wieder auf. Es wurden Steppdecken, Tagesdecken und Schlafsäcke hergestellt. Viele vertriebene oder geflohene Frauen aus Thüringen, Ostpreußen und Schlesien fanden einen Arbeitsplatz. Sie waren meist ungelernte Kräfte, die angelernt und ihren Fähigkeiten entsprechend eingesetzt wurden:„Ungelernt war ich ja, ich hab ja praktisch in Schlesien im Büro gelernt und in Oberzelle war ich ja auch im Bürgermeisteramt. Für mich war ja nur wichtig, dass ich eine Arbeitsstelle hatte, dass ich etwas verdient habe,“ betonte Frau Sch.„Die Decken wurden aufgespannt, auf einen großen Rahmen, dann wurden sie ja mit der Watte gefüllt, mit der Wolle, dann die Oberdecke drauf, dann wurden sie erst einmal gesteppt. Und da war ja ein Rand immer noch so fransig und überstehende Wolle, die musste man abzupfen und dann kamen sie an die Maschine, dass der Rand genäht wurde.“ Die Frauen bedienten die Steppmaschinen, zupften Wolle, nähten und säuberten die Ränder. Sie kamen zu Fuß oder mit dem Fahrrad zum Betrieb, arbeiteten in zwei Schichten, eine vormittags, eine nachmittags, mit jeweils einer Vorarbeiterin.

Die Arbeit erforderte körperliche Kraft:„Doch, es war schwer, Man hatte die großen Decken, die mussten gedreht werden auf dem Putztisch und bei der Kontrolle dann wieder. Und dann hatte man die großen Maschinen. Dabei habe ich mir mal in den Finger genäht, beim Staffieren. Da musste ich zum Arzt. Die Nadel war ja abgebrochen und gesplittert, da hat der Beckmann [Heinz Alfred Beckmann, Arzt in Vluyn] mir ein ganzes Stück rausgeschnitten. Und auch bei den langen Nähten, irgendwie saß man immer schief. Das ging schon ins Kreuz“, erinnerte sich Frau K.

Der Stundenlohn betrug 57 Pfennige. Zu den Sozialleistungen gehörten ein Ausflug im Sommer, ein Weihnachtsfest und ein Hochzeitsgeschenk. Gewerkschaftlich organisiert waren die Arbeiterinnen Anfang der 1950er Jahre noch nicht. Von den geringen Stundenlöhnen hätten sie nach eigener Aussage auch keine Beiträge zahlen wollen. Ein Arbeitsplatzwechsel kam selten vor: Alle waren froh, eine Stelle bei Paradies zu haben. Die meisten Arbeiterinnen blieben dem Betrieb verbunden und einige sogar darüber hinaus.

Frauengeschichtswerkstatt Neukirchen-Vluyn

Orte:

Paradies, Rayener Straße 14, 47506 Neukirchen-Vluyn

Literatur:

Frauen(-)Leben in Neukirchen-Vluyn 1877-1997. 120 Jahre aus der Geschichte der Frauen, eine Dokumentation der Frauengeschichtswerkstatt Neukirchen-Vluyn, hg. v.d. Stadt Neukirchen-Vluyn (Schriftenreihe des Stadtarchivs, Bd. 1), Neukirchen-Vluyn 1997, hier bes. S. 15-26.

Zitation: Frauengeschichtswerkstatt Neukirchen-Vluyn, Frau R. Frau Sch. Frau K., Version 1.0, in: frauen/ruhr/geschichte, https://www.frauenruhrgeschichte.de/biografien/frau-r-frau-sch-frau-k/

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