Uta Ranke-Heinemann / 1927-2021

"Ich habe beharrlich gezweifelt."

Zu Beginn eine Begriffsklärung, die Uta Ranke-Heinemann immer wieder vornehmen muss: „unbefleckte Empfängnis“ und „jungfräuliche Empfängnis“ beschreiben in der Theologie der katholischen Kirche unterschiedliche Vorgänge: „Unbefleckt“ bezieht sich auf die Empfängnis, mit der Maria von ihrer Mutter Anna empfangen wurde. Dies meint nicht die „Abwesenheit von Geschlechtsverkehr: sondern keine Befleckung durch die Erbsünde“. Der Zustand, den der Engel in seiner Begrüßung Marias laut Lukasevangelium aufgriff – „Sei gegrüßt, Du Begnadte“ – wird indes im Brief des Paulus an die Epheser mit dem gleichen griechischen Ausdruck „voll der Gnade“ – „gratia plena“ für alle Menschen ausgesagt. Dies bedeutet: „Liest man aus dem Engelsgruß an Maria eine unbefleckte Empfängnis heraus, kann man mit dem gleichen Recht aus Epheser 1,6 eine unbefleckte Empfängnis auch für uns herauslesen.“ (Nein und Amen, S. 73f.)

Die Rede von der „jungfräulichen Empfängnis“ hingegen meint, Maria habe den Gottessohn als Jungfrau geboren. Selbst der heutige Papst Benedikt hatte als Kardinal Ratzinger nicht an der Jungfrauengeburt als biologischer Vorraussetzung für die Gottessohnschaft festgehalten, und auch innerhalb der katholischen Dogmatik wird sie nicht nur wörtlich interpretiert, sondern auch als eine rhetorische Figur, um die Menschwerdung Gottes zu vermitteln: Dort, wo Christus in der Gottesnatur existiert, hat er Gott zum Vater, insofern er in der menschlichen Natur existiert, gestehen ihm Theologen durchaus einen menschlichen Vater zu.

Als die Theologin Uta Ranke-Heinemann, die weltweit erste Frau mit einem Lehrstuhl in Katholischer Theologie, am 15. April 1987 in der WDR-Sendung „Mittwochs in …“ aus dem Marien-Wallfahrtsort Kevelaer öffentlich ihre Zweifel an einer historisch-biologisch zu denkenden Jungfrauengeburt Christi geäußert hatte, entzog ihr der Bischof des Bistums Essen, Dr. Franz Hengsbach, am 15. Juni 1987 die Lehrerlaubnis. Vermittlungsversuche waren zuvor gescheitert. Der Bruch hatte sich langsam, aber stetig vorbereitet, je konsequenter sie die Dogmen der Kirche zu hinterfragen begonnen, ihre Kritik öffentlich formuliert und zur Grundlage eigenen politischen Handelns gemacht hatte. Nach dem Verlust ihrer Lehrbefugnis richtete die Landesregierung Nordrhein-Westfalen aufgrund einer bestehenden Vereinbarung zwischen Kirche und Staat für die verbeamtete Professorin einen kirchenunabhängigen Lehrstuhl für Religionsgeschichte an der damaligen Universität-Gesamthochschule Essen ein.

Uta Johanna Ingrid Heinemann – URH, wie sie selbst zeichnet – kam am 2. Oktober 1927 als erstes Kind von Gustav und Hilda Heinemann, geborene Ordemann, in Essen zur Welt. Der Vater hatte 1929 in Staatswissenschaft mit einer Untersuchung über das Sparverhalten der Essener Krupp-Familien promoviert. 1929 folgte ein zweiter Doktortitel in Jura. Er war Rechtsanwalt in Essen. Ihre Mutter begann – nach einem Abitur, das sie zusammen mit Else Bauernfeind als einzige Mädchen an einem Bremer Jungengymnasium abgelegt hatte – in München ein Lehramtsstudium der Germanistik und Geschichte. 1922 wechselte sie nach Marburg, um bei Rudolf Bultmann ihr theologisches Examen abzulegen. In Marburg lernte sie bei einer studentischen Adventsfeier Gustav Heinemann kennen, einen am Christentum nicht sonderlich interessierten Kommilitonen, der seine Zuneigung mit dem Versprechen verknüpfte, sie in der Ausübung ihres Glaubens nicht zu hindern. 1926 fand die Hochzeit statt. Hilda Heinemann konzentrierte ihre pädagogischen Kompetenzen, ihr Wissen und ihre Klugheit nun auf eine wachsende Kinderschar, während ihr Mann seine Karriere als Wirtschaftsjurist und Strafverteidiger aufbaute. Gustav Heinemann, der spätere Bundespräsident, fand über seine Frau und ihre aktiv gelebte Kirche zum evangelischen Glauben. Im „Dritten Reich“ kam ihm im Widerstand der Bekennenden Kirche und im „Kirchenkampf“ gegen die Deutschen Christen eine bedeutende Rolle zu. Die Familie half politisch und rassistisch Verfolgten.

Der Tochter Uta würde heute eine „Hochbegabung“ attestiert. Sie war wissensdurstig, besaß eine schnelle Auffassungsgabe, lernte seit Kindertagen freiwillig und mit wachsender Begeisterung Latein, Griechisch, neue Sprachen und interessierte sich früh für religiöse Fragen. 1947 legte sie mit Sondererlaubnis als einziges Mädchen am Essener Burggymnasium ihr Abitur „mit Auszeichnung“ ab, diese Note war zuletzt dreißig Jahre zuvor verliehen worden. Am Gymnasium lernte sie auch ihren späteren Mann, Edmund Ranke, kennen, einen durch den Krieg gezeichneten, mittellosen Mitschüler, der sie durch kunstvolle Griechisch-Übersetzungen in den Bann zog: „Frauen lieben ja mit den Ohren“, sollte URH später dazu schreiben. Edmund Ranke war katholisch. Eine interkonfessionelle Verbindung wurde in dem protestantischen Elternhaus nicht gern gesehen. Gustav Heinemann, mittlerweile Oberbürgermeister von Essen und 1949 zum Präses der evangelischen Kirche Deutschlands gewählt, versuchte die Liebenden durch räumliche Trennung und Streichung finanzieller Unterstützung auseinander zu bringen. URH studierte seit 1947 evangelische Theologie, während ihr Verlobter Edmund Ranke ein Studium der katholischen Theologie aufnahm. Nach 13 Semestern konvertierte URH während der Arbeit an ihrer Dissertation zum frühen Mönchtum zum katholischen Glauben – der Konflikt mit ihrem Elternhaus eskalierte. Noch auf der Hochzeitsfeier am 31. Dezember 1954 ließ Heinemann seine Tochter wissen: Das Tischtuch zwischen uns ist zerschnitten.

Für URH stellte sich der Konfessionswechsel weder als Bruch und schon gar nicht als Neuanfang dar. Sie liebte einen katholischen Mann und war sich bewusst, dass bei einer Ehe auch von ihr eine katholische Erziehung der Kinder gefordert wurde. Sie erinnert die Entscheidung als Schritt in eine größere Toleranz, eine Fehleinschätzung, wie sie später einräumte. Für ihren Vater, den gewählten Leiter der förderalistisch organisierten evangelischen Kirchen Deutschlands, bedeutete die Konversion einen Ansehensverlust: Wie sollte er die Gliederkirchen mit ihren unterschiedlichen Flügeln zusammenhalten, wenn er noch nicht einmal seine Tochter in Glaubensfragen disziplinieren konnte? Die katholische Fakultät der Universität München hingegen nahm die Tochter mit ihrer Arbeit an den Selbstzeugnissen des frühen Mönchtums mit offenen Armen auf.

1954 schloss URH ihr Theologiestudium mit der Note „magna cum laude“ ab. Die promovierte katholische Theologin übernahm eine Dozentur am Erzbischöflichen Katechetinnenseminar in Bonn, bildete also Religionslehrerinnen aus. 1965 erhielt sie eine Stelle an der Pädagogischen Hochschule in Neuss. Zu diesem Zeitpunkt galt sie in Kirche und Wissenschaft als theologische Autorität und erreichte durch ihre nicht minder theologisch feinsinnigen Erbauungsschriften auch das „normale“ Kirchenvolk. Im „Ruhrwort“, der Wochenzeitung des Ruhrbistums, beantwortete sie lange Zeit Fragen, die die Gläubigen im Alltag beschäftigten. Ihre Ratgebertätigkeit endete, als sie 1968 in der Frage der Geburtenregelung im Verweis auf den bekannten Jesuitenpater J. David und alle derzeit denkbaren Positionen zu Sünde und Geburtenkontrolle für eine Entscheidung mündiger Eheleute plädierte. Auch in ihrer Schrift „Christentum für Gläubige und Ungläubige“, 1968 publiziert, fand die Theologin klare, polemisch zugespitzte Worte: „Gott ist immer ein Gott mit uns, immer ein Gott unserer Anständigkeit. Und darum ist er auch ein Gott der Amerikaner, die für unsere Freiheit töten. Darum sind die Amerikaner nach Kardinal Spellmann ‚Soldaten Christi’, und kaum jemand registriert diese Verhöhnung Christi mit mehr als mit einem Achselzucken.“ Die radikale Pazifistin URH engagierte sich gegen den Vietnamkrieg, brachte 1979 Unterstützungsgüter nach Kambodscha, wurde Anfang der 1980er Jahre prominente Aktivistin der westdeutschen Friedensbewegung gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen und kandidierte 1999 als Kanditatin der Linken gegen ihren Neffen Johannes Rau, den die Sozialdemokratie nominiert hatte, für das Amt der Bundespräsidentin.

Der einflussreiche Theologe Professor Karl Rahner schlug ihr eine Habilitation vor, da ihre Veröffentlichungen dafür bereits ausreichten. Acht Männer mussten darüber positiv entscheiden und als das Verfahren erfolgreich beendet wurde, war URH 1969 die erste Frau der Welt mit einer Professur für katholische Theologie. Mit ihr endete die mit dem Paulusbrief an Thimotheus kodifizierte Tradition: „Einer Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre …“.

Es stellt sich die Frage, wie es just zu diesem Zeitpunkt zu diesem Traditionsbruch kommen konnte? Ein Habilitationsverfahren prüft die wissenschaftliche Kompetenz, ist aber immer auch eine berufsständische Frage, oft auch eine politische. Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) mit seiner erklärten Öffnung der Kirche hin zur modernen Welt bereitete den Rahmen, in dem die Protagonisten argumentieren und agieren konnten. Zeitgleich hatten erstmals Frauen in offizieller Form die Frage nach der Frauenordination gestellt. So reichte die Schweizer Juristin Gertrud Heinzelmann dazu eine Eingabe bei der vorbereitenden Kommission des Konzils ein. Ermutigt durch die Positionen Papst Johannes XXIII. zur Ungeteiltheit der Menschenwürde und zur Frauenfrage fühlte sich eine innerkirchliche Frauenbewegung ermutigt, an die Öffentlichkeit zu treten. Auch Karl Rahner stand der Frauenfrage positiv gegenüber. So hatte er bereits in den frühen 1960er Jahren Haye van der Meer SJ. mit einer Arbeit zum Priesteramt der Frau promoviert. Eine Veröffentlichung der Arbeit wollte er jedoch erst nach der Zeit des Konzils gestatten, um Repressalien seitens der kirchlichen Aufsichtsbehörde zu vermeiden. Es ist daher durchaus denkbar, dass die Erteilung einer wissenschaftlichen Lehrbefugnis an die Ausnahmefrau URH ein Zugeständnis der Kirchenvertreter an die frauenbewegten Forderungen nach Demokratie und Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche darstellte. Der innerkirchliche Raum blieb dadurch in seiner patriarchalen Hierarchie unangetastet und die Forderung nach Frauenordination wurde durch das Entgegenkommen zunächst entschärft.

Bei einem Gespräch mit frauen/ruhr/geschichte im Mai 2011 erzählte Uta Ranke-Heinemann von zwei Erfahrungen, die den Zweifel an ihrer Gläubigkeit seit den 1960er Jahren nährten: Die erste musste sie während ihrer Lehrtätigkeit an der Bonner Ursulinenschule durchleben, als sie eine Fehlgeburt erlitt. Die Nonnen der Ursulinenschule beteten um das Kind, nicht aber für die Mutter. Die zweite Erfahrung betrifft ihre beiden Söhne, die zur Vorbereitung auf die Erste Heilige Kommunion zur Beichte hätten gehen sollen. Für sie barg diese Beichtsituation in einer sexualfeindlichen Männer-Kirche eine unerträgliche Einmischung in Kinderseelen seitens fremder Personen. Dabei hatte sie zu dem Zeitpunkt, ca. 1967, an Missbrauch nicht im geringsten gedacht, sondern war der Meinung, eine Mutter weiß, was sie ihre Kinder lehren muss, was sie fragen und wissen wollen. Erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts rückte die Frage „Kindes-Missbrauch“ ins allgemeine Bewusstsein. Ihren Söhnen ersparte das Ehepaar Ranke-Heinemann die Beichte, indem es sie in den Niederlanden zur Kommunion gehen ließ.

Diese Erfahrungen hat URH in der sie auszeichnenden philologisch-wissenschaftlichen Strenge pointiert und mit Sinn für Komik allgemein verständlich in ihrem Buch zu Katholischer Kirche und Sexualität verarbeitet, an dem sie nach ihrem Lehrverbot zu arbeiten begann. Die „jungfräuliche Empfängnis“ ist darin gleichsam der Aufhänger für eine kritische Sittengeschichte. „Eunuchen für das Himmelreich“ – von Auflage zu Auflage erweitert und inzwischen in der 25. Auflage 2008 mit einem neuen Kapitel zur Homosexualität bei Heyne als Taschenbuch erschienen –  ist in unzählige Sprachen übersetzt und avancierte zum weltweiten Standardwerk über katholische Kirche und Sexualität. Als frauen/ruhr/geschichte das Gespräch mit ihr führte, war URH noch tags zuvor, am 17. Mai 2011, prominente Rednerin auf einer Demonstration in Köln für einen bekennenden homosexuellen Theologen und Religionslehrer, dem die Erzdiözese Köln im Mai 2011 die Lehrbefugnis entzogen hatte.

URH ist eine Person der Medienöffentlichkeit, die für ihre markanten Aussagen bekannt ist. Sie ist eine politische Aktivistin, die sich für Frieden und gegen Unterdrückung und Unrecht engagiert. Sie ist eine scharfzüngige Theologin, die das Frauenbild der Kirche wie mit einem Seziermesser zerlegt. Sie soll hier auch als herausragende Philologin gewürdigt werden. In zwölf Sprachen beheimatet, weckt sie durch ihre Schriften Interesse selbst an komplexen Texten und die in ihnen verborgenen Sinnschichten. Sie ist eine Frau der Logik, lógos (griech.) im Sinne von Wort, Rede und Sinn. Wobei man anfügen kann: auch eine Frau des Eigen-Sinns.

Uta C. Schmidt / frauen/ruhr/geschichte

Orte:

Bistumsverwaltung, Zwölfling 16, 45127 Essen
Burggymnasium, Burgplatz 4, 45127 Essen
Schinkelstraße 34, 45127 Essen: In diesem Haus wohnte seit dem 1. Oktober 1936 die Familie Heinemann.

Literatur:

Ranke-Heinemann, Uta, Widerworte, Friedensreden und Streitschriften, München 2. Auflage 1989 (Goldmann Taschenbuch)
Dies., Eunuchen für das Himmelreich. Katholische Kirche und Sexualität,  München 2008, 25. erheblich erweiterte Auflage (Heyne-Taschenbuch).
Dies., Nein und Amen. Mein Abschied vom traditionellen Christentum, München 2011, 9. erweiterte Auflage (Heyne-Taschenbuch)

Bücher zu Uta Ranke-Heinemann und zum innerkirchlichen Aufbruch von Frauen in den 1960er Jahren:
Alberts, Werner, Uta Ranke-Heinemann. Abschied von Christentum, Düsseldorf 2004.
Heinzelmann, Gertrud, Wir schweigen nicht länger, Zürich 1964.
www.we-are-church.org/de/fulda-hanau/Frauen_und_Kirche.htm
Meer, Haye van der, Priestertum der Frau? Eine Theologiegeschichte, Freiburg i.Br. u.a. 1969.
Müller, Iris/ Raming, Ida, Unser Leben im Einsatz für Menschenrechte der Frauen in der römisch-katholischen Kirche: Lebensberichte – Hintergründe – Dokumente – Ausblick, Berlin u.a. 2007.
Schütt, Hans-Dieter, Querköpfe – Uta Ranke-Heinemann, Berlin 1993.
Die Schülerinnen Katharina Pohl und Birte Weber von der B.M.V.-Schule in Essen, einem Gymnasium in Trägerschaft der Augustiner Chorfrauen, haben mit dem Titel:„Ratzinger zitieren kostet den Lehrstuhl" eine Forschungsarbeit zum „Skandal Uta Ranke-Heinemann“ beim Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten eingereicht. 2011 lautete das Thema des Geschichtswettbewerbs:„Ärgernis, Aufsehen, Empörung: Skandale in der Geschichte“.

Zitation: Schmidt, Uta C., Uta Ranke-Heinemann, Version 1.0, in: frauen/ruhr/geschichte, https://www.frauenruhrgeschichte.de/biografien/uta-ranke-heinemann/

Beitrag (ohne Bilder und Quellen) lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0, International Lizenz Creative Commons Lizenzvertrag
Creative Commons Namensnennung

Copyright © 2022 frauen/ruhr/geschichte und Autor:innen.