Liselotte Rauner / 1920-2005

Eine politische Lyrikerin des Ruhrgebiets

Unterdrückung, Ausbeutung, Rechtlosigkeit, Krieg waren ihre Themen, der Alltag im Ruhrgebiet ihre Basis. Rezensenten und Gratulanten nannten sie wiederholt eine „Mutter Courage des Ruhrgebiets“, die mit lauter und kraftvoller Stimme ihre Widerstandsverse vortragen konnte. Viele ihrer Gedichte reimten sich, gaben eine Melodie vor und fanden in den 1970er und 80er Jahren in der Musikszene nicht nur des Ruhrgebiets großen Anklang. Die Sängerin Brigitte Lebaan, die Jazz-Interpretin Inge Brandenburg und Friedensaktivistin Fasia Jansen, der Sänger, Sammler und Archivar Frank Baier, die Liedermacher Dieter Süverkrüp, Werner Worschech und Klaus Hoffmann interpretierten ihre Texte musikalisch, nachzuhören auf mehr als 20 Schallplatten.

Ihre Biografie beschreibt Liselotte „Lilo“ Rauner um 1968 einmal lakonisch so: Geb. 21.2.1920 in Bernburg/Anhalt, Realschule, kaufmännische Lehre, Gesangsausbildung, 2-jährige Mitgliedschaft am Stadt- und Landestheater in Bernburg, seit 1948 wohnhaft in Wattenscheid, verheiratet, keine Kinder. Schreibe seit etwa dem 18. Lebensjahr aus Passion, keine Veröffentlichungen, erstmalig im Januar d.J. [1968] in der literarischen Werkstatt in Gelsenkirchen mit Gedichten an die Öffentlichkeit getreten, seitdem mehrere Lesungen und Veröffentlichungen in Zeitungen und Zeitschriften. Vorgesehen für einige in Kürze erscheinende Anthologien und Reproduktionen mehrerer Arbeiten durch Frau Ursula Herking.1

Die Gelsenkirchener Werkstatt des Werkkreises Literatur der Arbeitswelt und der Direktor der Stadtbücherei Gelsenkirchen, Hugo-Ernst Käufer, förderten und begleiteten ihre literarische Arbeit.
Sie gehörte zu den wenigen Lyrikerinnen des Ruhrgebiets, sie verwahrte sich aber gegen eine Zuordnung zur „Frauenliteratur“. Sie schrieb politische Lyrik, ihr ging es nicht um private Verhältnisse.

Anerkennung fand ihre Arbeit 1986 mit der Berufung in den Internationalen PEN- Club und als erste Preisträgerin des Literaturpreises Ruhr, bereits vorher war sie Preisträgerin im Reportage-Wettbewerb des Werkkreises Literatur der Arbeitswelt (1969), Stipendiatin des Landes NRW (1977), Trägerin des Bocholter Kulturpreises (1978) und des Josef-Dietzgen-Literaturförderpreises (1982).

Der erste Gedichtband erschien 1970 unter dem Titel Der Wechsel ist fällig, es folgten weitere Gedichtbände im Oberhausener Asso-Verlag. Nach dem Tod ihres Mannes Walter 1992 stellte Liselotte Rauner ihr Schreiben ein, ohne ihn schien es unmöglich, Alltag und Schreiben zu bewältigen. Selbst von Freunden schottete sie sich fast völlig ab und trieb bewussten Raubbau mit ihrer Gesundheit.

1998 trat sie mit der Gründung der „Liselotte und Walter Rauner Stiftung“ zur Förderung neuer Lyrik, nach eigener Aussage die einzige private Literaturstiftung in Nordrhein-Westfalen, noch einmal an die Öffentlichkeit.

Hugo Ernst Käufer und Rainer W. Campmann beschreiben in ihren Nachrufen Lilo Rauner aus verschiedenen, gleichwohl bewundernd-liebevollen, sich ergänzenden Perspektiven. Käufer erinnert an den letzten Auftritt Rauners 2004: Ein Beweis dafür, dass nur sie selbst ihren Gedichten zur vollen Wirksamkeit verhelfen konnte. Das wußte sie auch.2 Campmann erinnert sich an das widersprüchlich-symbiotisch verbundene Paar Lilo und Walter, und während Käufer „die poetische Kraft ihrer Sprachbilder rühmte“ dachte er an den immer vorhandenen und unerfüllten Traum Rauners, eine Prosaarbeit zu schreiben.3

Lilo Rauner wird nicht vergessen, ihre Gedichte und Aphorismen, ihre Stiftung, eine nach ihr benannte Talentschule in Bochum und der Nachlass im Stadtarchiv Bochum (NAP 123) machen Werk und Person sichtbar und zugänglich.

Garantien der Obrigkeit
Ihr dürft alles tun
was wir euch sagen
doch ihr sollt nicht sagen
was wir euch tun

Ihr dürft alles ändern
was wir wünschen
doch ihr dürft nicht wünschen
daß wir uns ändern

Ihr dürft überall gehen
wohin wir wollen
doch ihr dürft nicht wollen
daß wir gehen
(1969)4

Zum 100. Geburtstag der Lyrikerin Liselotte Rauner am 21. Februar 2020 richtet die noch von ihr selbst 1998 ins Leben gerufene Liselotte und Walter Rauner Stiftung einen Lyrikwettbewerb aus. Politisch pointierte und freche Texte sollen prämiert werden, die der wehrhaften, für die Rechte der Zukurzgekommenen kämpfenden Schriftstellerin gefallen hätten.

Hanneliese Palm, Selm

  1. Fritz-Hüser-Institut für Literatur und Kultur der Arbeitswelt, Best. 200-1022
  2. Lilo Rauner Lesebuch. Zusammengestellt und mit einem Nachwort versehen von Volker W. Degener. Nylands Kleine Westfälische Bibliothek 76, Nyland Stiftung Köln 2018, S. 105
  3. Ebenda S. 111
  4. Liselotte Rauner: Kein Grund zur Sorge. Gedichte. Epigramme. Songs, Asso Verlag, Oberhausen 1985, S. 15
Orte:

Liselotte Rauner Stiftung, Westring 32, 44777 Bochum

Liselotte Rauner-Schule, Bochum-Wattenscheid

Literatur:

Hugo Ernst Käufer (Herausgeber): Liselotte Rauner: Kein Grund zur Sorge, Oberhausen 1985

Rainer W. Campmann, Hugo Ernst Käufer (Hrsg.): Augenblicke der Erinnerung, Oberhausen 1991

Was gültig ist, muß nicht endgültig sein, Essen 1992

Zitation: Hanneliese Palm, Liselotte Rauner. Eine politische Lyrikerin des Ruhrgebiets, Version 1.0, in: frauen/ruhr/geschichte, https://www.frauenruhrgeschichte.de/biografien/liselotte-rauner/

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