Wie sie zur Elektrotechnik gekommen ist? „Ich hatte Spaß an der Mathematik und wollte einen modernen Beruf ausüben“, berichtet Ingeborg Hübner, pensionierte Professorin der Hochschule Bochum. Mag die Berufswahl noch unkompliziert gewesen sein – einfach war der Weg zur Hochschullehrerin in einem ausgesprochenen „Männerfach“ nicht.
Es war ihr profundes Interesse an den naturwissenschaftlichen Fächern, an Technik und Mathematik, das durch alle Schwierigkeiten half. Und: „Hindernisse fordern mich heraus“. Von denen gab es nicht wenige. Verlief die Schullaufbahn von der kleinen Dorfschule in Niedersachsen bis zum Abitur am Gymnasium in Hannover noch reibungslos, tauchte mit der Immatrikulation die erste Hürde auf. Voraussetzung für das Studium der Ingenieurwissenschaften war ein halbjährliches Praktikum in einem technischen Betrieb. Dieses zu ergattern scheiterte Anfang der 60er Jahre meist an mangelnden sanitären Anlagen für Frauen. Wenigstens stand es so in den Absagebriefen auf die vielen Bewerbungen, die die Abiturientin schreiben musste. Bis ein Landmaschinenhersteller, der Frauen bereits als technische Zeichnerinnen beschäftigte, grünes Licht gab. Jetzt galt es, sich z. B. in der Gießerei zu beweisen und nicht zuletzt auch vor den Herren Kollegen: „Ich als Frau und dann als Linkshänderin mit dem Hammer in der Hand! Da haben einige schon komisch geguckt“, erinnert sich Ingeborg Hübner.
An der Technischen Universität Hannover dann als eine von drei Frauen unter 250 männlichen Kommilitonen zu studieren war „nichts Besonderes. Ich habe mir einfach gedacht: Wenn die mit mir klarkommen, komme ich auch mit denen klar“. Von den drei Anfängerinnen blieb sie als einzige dabei.
Nach dem Examen standen Dank des damaligen Ingenieurmangels mehrere Stellen zur Auswahl. Die Wahl fiel wegen des Faibles für Forschung auf ein Bremer Institut für Materialforschung. Aber schon nach wenigen Monaten bot sich in Hannover die Gelegenheit, an einem neugegründeten „Institut für Werkstoffe der Elektrotechnik und Halbleitertechnologie“ zu forschen.„Das war was Modernes, das hat mich interessiert“. Die Doktorandin (Promotion zum Dr.-Ing. 1975) wirkte mit beim Aufbau des Instituts, lehrte als wissenschaftliche Assistentin an der Universität und entwickelte Werkstoffe für ein revolutionäres Produkt: die blaue Leuchtdiode, die heute für Anzeigen in technischen Instrumenten und Computern Verwendung findet. „Es gab keinen Vortritt für Damen. Ich habe mich voll eingegeben, mich weitergebildet, Leistung gezeigt und mich bewährt. Es wurde viel verlangt, wer sich mit Halbleitertechnik befasst, muss die gesamte Elektrotechnik kennen, außerdem Chemie, Physik und alles …“ Zum Job gehörte nicht zuletzt die Verantwortung für die Versuchsaufbauten mit hohen Anforderungen an das mechanisch-handwerkliche Können.
1977 bewarb sich Ingeborg Hübner an der Fachhochschule Bochum. Es gab dreizehn weitere – männliche – Bewerber. Ihre Ausbildung sowohl in klassischer Elektrotechnik als auch in der neuen Halbleitertechnik gab den Ausschlag. Zudem hatte sie in Hannover Lehrkonzepte mit entwickelt, nach denen noch heute in ganz Deutschland Grundvorlesungen gehalten werden. Damit hatte die kleine Bochumer Fachhochschule vermutlich als erste Hochschule in NRW eine Professorin in der Elektrotechnik. Zu unterrichten waren und sind überwiegend männliche Studierende. „Ich wurde schon kritisch betrachtet, ob ich die Leistung bringe. Aber ich habe immer gern mit den Studierenden gearbeitet und Praktiker sowie praxisorientierte Forschungs- und Entwicklungsingenieure ausgebildet“.
In Bochum erfüllte sich nun der Wunsch nach einer Familie – zum Teil zumindest. Der Sohn blieb ein Einzelkind, da für eine größere Familie der organisatorische Aufwand kaum zu bewältigen ist. Bereits zwei Monate nach der Geburt ging die junge Mutter zurück an die Hochschule, bei einer Freistellung hätte das gesamte Lehrpensum später nachgeholt werden müssen. Die Kindergartenzeit sei ein „Affentheater“ gewesen. Der lange Arbeitstag passte nicht zu den kurzen Betreuungszeiten. Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, war mit hohem Zeitdruck und ständigem Koordinationsaufwand verbunden. „Man muss einer Frau die Möglichkeit geben, sich auch in der Familie zu verwirklichen. Wer sich intensiv in den Beruf gibt, braucht den Rücken frei“, fordert Ingeborg Hübner. Ohne die Unterstützung der eigenen Mutter wäre die Kinderbetreuung nicht zu schaffen gewesen. Die Mutter spielte schon früher eine wichtige Rolle für Ingeborg Hübners berufliche Entwicklung. Selbst ohne Ausbildung wegen Krieg und Nachkriegswirren, ermutigte sie ihre Kinder immer wieder, einen Beruf zu erlernen.
Zusätzlichen Einsatz für die Hochschule leistete Ingeborg Hübner im Laufe der Zeit als engagiertes Mitglied in allen Gremien und übernahm damit auch Verantwortung für die Weiterentwicklung der Institution. Von 1993 bis 1997 wirkte sie im Rektorat, fungierte vorher bereits als erste Frauenbeauftragte der Hochschule. Mit ihrer Teilnahme an den Berufungsverfahren wurden Auswahlkriterien kritischer überprüft und mancher Kandidatin der Weg zur Professur ermöglicht.
2007 ging Ingeborg Hübner in Pension. Ihren besonderen Berufsweg sieht sie als Selbstverständlichkeit: „Ich fühlte mich nicht besonders. Wenn ich was wollte, habe ich es durchgesetzt“, macht sie deutlich und rät: „Die jungen Frauen sollen zu ihren Wünschen stehen. Dann haben sie auch die Kraft, ihre Ziele zu erreichen“.
Dr. Andrea Kiendl
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