Hedwig Averdunk / 1881 – 1974

Privilegiert und diskriminiert

Hedwig Averdunk stand kurz vor ihrem 43. Geburtstag, als sie bei der Wahl am 4. Mai 1924 in die Duisburger Stadtverordnetenversammlung gewählt wurde.1 Bis 1933 sollte sie als Stadtverordnete der erst im Dezember 1918 gegründeten Deutschen Volkspartei (DVP) die politischen Geschicke der Stadt mitbestimmen.2 Die damalige Oberlehrerin und spätere Oberstudienrätin, nach 1945 Leiterin des städtischen Übersetzungsbüros, kam aus einer Gelehrtenfamilie: ihre Eltern waren Alma und Heinrich Averdunk, der bekannte Duisburgers Gymnasialprofessor, Museumsleiter und Geschichtsforscher.3

Hedwig wäre bereit gewesen, bereits 1919 als eine der Kommunalpolitikerinnen der ersten Stunde in die Stadtverordnetenversammlung einzuziehen. Allerdings hatte ihr die eigene Partei Steine in den Weg gelegt: Die Liste der Wahlvorschläge der Deutschen Volkspartei (DVP) enthielt insgesamt 30 KandidatInnen, davon drei Frauen – alle auf hinteren Listenplätzen (Platz 9, 15 und 22). Hedwig Averdunk war auf Platz 9 positioniert und als sieben Kandidaten der DVP Einzug in die Duisburger Stadtverordnetenversammlung 1919 hielten, war keine Frau dabei.4

Die parteiübergreifende, durchweg schlechtere Platzierung von Frauen auf den hinteren Listenplätzen wurde im Duisburger General-Anzeiger am 20. Februar 1919 – drei Tage vor der Kommunalwahl am 23. Februar 1919 – in einem Kommentar pointiert aufgegriffen, in dem das schlechte Abschneiden der Frauen bei der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung bereits prognostiziert und damit begründet wird, dass „die Parteien nicht sehr galant gegen ihre Damen waren, sondern sie ziemlich ins Hintertreffen votiert haben.“5

In der Realität allerdings wurde die Prognose des Duisburger General-Anzeigers noch überboten: Von den insgesamt 75 Stadtverordneten in Duisburg 1919 waren nur 4 Frauen (5,3 %)6, zwanzig weniger, als von den Parteien aufgestellt worden waren. Damit erzielte Duisburg hinsichtlich der Frauenquote das schlechteste Wahlergebnis der damals größten Städte im rheinisch-westfälischen Industrierevier, wo z.T. doppelt so viele Frauen in die Stadtverordnetenversammlungen Einzug hielten wie in Duisburg.7

„… auch die überparteiliche Zusammenarbeit mit den Frauen der anderen Fraktionen nannte sie ihre Arbeit.“8

Erst 1924 war es dann so weit: Hedwig Averdunk, zu diesem Zeitpunkt Oberlehrerin am Lyzeum mit Oberlyzeum und Studienanstalt zu Duisburg (das spätere Frau-Rat-Goethe-Gymnasium), schaffte es, als eine von acht DVP-KandidatInnen – diesmal positioniert auf Platz 5 der KandidatInnenliste – ein Mandat in der Stadtverordnetenversammlung zu erringen – als einzige Frau ihrer Partei.9

In der Stadtverordnetenversammlung arbeitete sie in insgesamt zehn Ausschüssen mit. Ihre Schwerpunkte lagen im Schul-, Kultur- und Jugendbereich. Es ist davon auszugehen, dass sie sich – ohnehin Mitglied im Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverein (ADLV), Abteilung Philologinnen10 – als Mitglied im „Verwaltungs-Ausschuß der höheren Lehranstalten“ und in der Schuldeputation11für Mädchen- und Frauenbildung einsetzte. Dafür hatte sie wichtige Mitstreiterinnen in der Stadtverordnetenversammlung: Franziska Schumacher (Zentrum) und Margarete Pasie (Deutsche Demokratische Partei), allesamt Lehrerinnen und im Vorstand der „Arbeitsgemeinschaft der Frauenvereine Groß-Duisburgs“ aktiv.12

Im Vorfeld der Kommunalwahlen, die am 17. November 1929 stattfinden sollten, setzte sich Hedwig Averdunk in ihrer Vortragstätigkeit stark für kommunale Frauenpolitik in unterschiedlichen Zusammenhängen ein. Bereits im Oktober 1929 hatte die Arbeitsgemeinschaft der Duisburger Frauenvereine mit ihren 28 angeschlossenen Frauenorganisationen13 in einem offenen Brief unter der Überschrift „Wahlwünsche der Duisburger Frauen“ den Umgang der Parteien mit der Frauenpolitik auf das Schärfste kritisiert: Die Frauen(verbände) forderten vor allem die Einbeziehung der Kommunalpolitikerinnen in alle Politikfelder und darüber hinaus eine bedeutende Erhöhung des Frauenanteils (in der Wahlperiode 1924–1929 waren nur fünf Frauen unter den 63 Stadtverordneten) in der Stadtverordnetenversammlung. Vor diesem Hintergrund und angesichts „der großen Zahl weiblicher Wähler“, so wurde exponiert, „halten wir die bisherige zahlenmäßige Vertretung der Frauen im Stadtparlament nicht für ausreichend. Wir erwarten auf das Bestimmteste, daß die politischen Parteien, in deren Rahmen wir bereit sind zu arbeiten, sowohl Kandidatinnen an aussichtsreicher Stelle der Listen bringen, als auch die Gesamtliste viel stärker mit Frauennamen durchsetzen, als das bisher geschehen ist. Wird es gewünscht, sind wir bereit, Persönlichkeiten zu benennen.“14

Einen Monat später, zwei Tage vor der Kommunalwahl, prangerte Hedwig Averdunk explizit „die „Frauenfeindlichkeit einiger Listen“ an und unterstrich in diesem Kontext die Relevanz einer „überparteilichen Zusammenarbeit mit Frauen anderer Fraktionen.“15 Laut Pressebericht wies sie in ihrem Vortrag auch „auf die besondere Bedeutung dieser ersten Kommunalwahl des vereinigten Duisburg–Hamborn hin, die auch über die leitenden Posten der  neuen Großstadt entscheide“, und betonte die Notwendigkeit, dass „Frauen Plätze in der Kommunalverwaltung innehaben sollten.“16

Dies korrespondierte mit dem Wahlkampfprogramm der DVP aus dem Reichstagswahlkampf von 1919, wo es in Duisburger Wahlanzeigen u.a. hieß: „Frauen und Mädchen! Die Deutsche Volkspartei wirbt um Euch. Sie tritt ein für die Volle Gleichberechtigung der Frau! Zulassung der Frau zu öffentlichen Aemtern …“17

Während der gesamten Phase der Weimarer Republik kooperierten offensichtlich die weiblichen Stadtverordneten der bürgerliche Parteien: Diese waren neben Hedwig Averdunk von der DVP Friederike Heidkamp und Franziska Schumacher von der Zentrumspartei sowie Margarete Pasie von der Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Für diese Politikerinnen, die im Übrigen alle als Lehrerinnen in unterschiedlichen Positionen und Schulformen tätig waren, besaß Frauenpolitik einen hohen Stellenwert, was nicht zuletzt daran zu sehen war, dass Pasie und Schumacher dem Vorstand der „Arbeitsgemeinschaft der Frauenvereine Groß-Duisburgs“ angehörten.

 

1910 – 1937: Berufliche Entwicklung

Hedwig Averdunks Ausbildung als Fremdsprachenlehrerin, begleitet durch verschiedene Auslandsaufenthalte18, verlief zielgerichtet, wie ihr Werdegang bis 1912 laut Angaben des „Königlichen Provinzial-Schulkollegiums“ im Kontext des Einstellungsverfahrens als Lehrerin19belegt: „Hedwig Averdunk, evangl. Konf., geb. 1881 zu Duisburg, besuchte die städtische höhere Mädchenschule zu Duisburg und das Lehrerinnen-Seminar zu Wolfenbüttel, woselbst sie Ostern 1901 die Lehrerinnen-Prüfung für höhere Mädchenschulen ablegte. Nach 2jährigem Aufenthalte im Auslande war sie als Lehrerin an der höheren Mädchenschule in Wolfenbüttel tätig. Darauf bereitete sie sich auf das Studium an der Universität vor, das sie nach bestandener Aufnahmeprüfung Ostern 1906 an der Universität Bonn begann. Im Sommer 191020 bestand sie das Oberlehrerrinnen-Examen in Englisch und Französisch, verbrachte darauf einige Monate im Auslande und folgte im Oktober desselben Jahres einer Berufung an das Lyzeum mit Oberlyzeum zu Crefeld. Zu Ostern 1912 wurde sie (als Oberlehrerin, d.V.) an das Lyzeum mit Oberlyzeum und Studienanstalt zu Duisburg (das spätere Frau-Rat-Goethe-Gymnasium, d.V.), gewählt.“

Das Duisburger Lyzeum mit Oberlyzeum und Studienanstalt zeichnete sich vor dem 1. Weltkrieg durch einen bemerkenswerten Geschichtsunterricht aus: So wurde ein „wahlfreier Kurs“ „Geschichte“ von Herrn Oberlehrer Dr. Knoke angeboten, in dem u.a. neben der Sozialgesetzgebung die „Rechtsverhältnisse und Stellung der Frau von der altgermanischen Zeit bis auf unsere Tage“ und „Bisherige Ergebnisse und Ziele der Frauenbewegung“ als Unterrichts-Themen behandelt wurden.21 Von 1929 bis 1937 arbeitete Hedwig Averdunk als Oberstudienrätin am Städt. Lyzeum in Ruhrort, der damaligen Kaiserin-Auguste-Viktoria-Schule22 – heute Aletta-Haniel-Gesamtschule.23

 

Frauen in Führungspositionen an der Schule?! – Männerprotest und Frauensolidarität

Die Lehrerin empfahl sich für Leitungsfunktionen: 1928 kam sie für die Position der Direktorin der Kaiserin-Auguste-Viktoria-Schule, des Städtischen Lyzeums in Ruhrort, ins Gespräch. Später sollte sie eine frei werdende Oberstudienratsposition als Stellvertretung des Schulleiters an dieser Schule besetzen. Die Wahl zur Direktorin des Städtischen Lyzeums in Ruhrort wurde verhindert. Als es um die Besetzung der Stellvertretung ging, opponierte der Elternbeirat dieser Schule erneut gegen die Besetzung einer Funktionsstelle mit einer Frau. Er argumentierte, „dass eine so große Schule wie das Lyzeum mit den ihm angegliederten zahlreichen Nebenstellen nur durch eine männliche Kraft geleitet werden kann“ und war der einmütigen Auffassung, „dass die Besetzung der freigewordenen Stelle des Stellvertreters ebenfalls nur durch einen Herren erfolgen darf …Weiterhin erscheint es aus sozialen Gründen wünschenswert, die höheren Bezüge eines Oberstudienrates eher einem Herrn als einer Dame zukommen zu lassen, da der Herr zumeist verheiratet und Familienvater ist.“24

Einer solchen Auffassung und Vorgehensweise traten die Duisburger Frauenverbände und die Lehrerinnen der Kaiserin-Auguste-Viktoria-Schule strikt entgegen: So forderte die „Arbeitsgemeinschaft der Frauen-Vereine Groß-Duisburgs“25 in einem Antrag vom 21. Mai 1928 nachdrücklich, nachdem „seinerzeit“ ihr „Antrag an die Stadtverwaltung, die freigewordene Direktorstelle an der Kaiserin-Auguste-Viktoriaschule mit einer Frau besetzen zu wollen“ nicht realisiert worden sei,  die Stadtverwaltung erneut auf, „nunmehr die durch diese Wahl erledigte Oberstudienratsstelle einer Frau zu übertragen“.26 Für das gleiche Anliegen setzte sich mit Schreiben vom 31. Juli 1928 eine weitere Gruppe von Frauen ein – nämlich (offensichtlich alle) 21 „seminarischen und akademischen Lehrerinnen der Kaiserin-Auguste-Viktoria-Schule“. Sie forderten mit einer „Eingabe der Lehrerinnen der  Kaiserin-Auguste-Victoria-Schule“ die Stadtverwaltung auf, „die Oberstudienratsstelle an unserer Anstalt zum Wohle der Schule und ihrer Schülerinnen mit einer Frau zu besetzen.“27

Am 14. November 1928 erklärte der „Personalausschuss der höheren Lehranstalten“, der bereits zuvor Hedwig Averdunk unterstützt hatte, einstimmig sein Einverständnis für die Besetzung der Oberstudienratsstelle mit Hedwig Averdunk. Diese Entscheidung führte zu einer erbitterten geschlechterdifferenzierten Kontroverse im Kollegium, das die Möglichkeit zur Stellungnahme erhalten hatte. Diese Gelegenheit ließ sich die „Gruppe der männlichen Lehrkräfte“ der Kaiserin-Auguste-Viktoria-Schule nicht entgehen und protestierte geschlossen gegen die Einstellung einer Frau in einer Führungsposition an der Schule generell – und zu Hedwig Averdunk ad personam. In dem Schreiben der männlichen Lehrkräfte an den Oberbürgermeister heißt es: „… Grundsätzlich wenden wir uns gegen die Ernennung einer weiblichen Lehrkraft auf diesen führenden Posten … Eine Kampfstellung zwischen einem weiblichen und einem männlichen Lager ist eine unerquickliche Erscheinung.  Wir haben sie bis vor wenigen Jahren an unserer Anstalt nicht gekannt. Dass es heute anders ist, geht wesentlich auf die Bestrebungen der in Frage stehenden Dame zurück; sie ist die Führerin einer Bewegung, die auch in unser Kollegium den Angriffsgeist hineingetragen hat …“28

Der damalige Oberbürgermeister Karl Jarres nahm umgehend dezidiert – und zwar am 1. Dezember – nach dieser Eingabe der „Gruppe der männlichen Lehrkräfte“ vom 29. November 1928  zu dieser Angelegenheit Stellung und setzte sich, in deutlicher Abgrenzung zu der frauenfeindlichen Haltung der „Gruppe der männlichen Lehrkräfte“ der Kaiserin-Auguste-Viktoria-Schule, für die Stellenbesetzung der Oberstudienratsstelle mit „Studienrätin Frl. Hedwig Averdunk“ ein, „nachdem sich der Verwaltungsausschuss einstimmig für die Berufung der äusserst tüchtigen und unter ihren Fachkollegen angesehenen Lehrerin ausgesprochen“ hatte.29 Am 16. April 1929 erhielt Hedwig Averdunk die Bestallungsurkunde als Oberstudienrätin.30 Sie hatte diese Führungsposition bis 1937 inne.

Die Auswirkungen des Nationalsozialismus auf Hedwig Averdunk

Beim Wahltermin am 12. März 1933 wurden 77 Abgeordnete in den Duisburger Stadtrat gewählt; darunter befand sich keine Frau mehr. Das nationalsozialistische Regime hatte die Stadtverordneten und explizit die Frauen durch dem „Führer“ Adolf Hitler ergebene Männer („Ratsherren“) ersetzt. 31

Ihrem Ausscheiden aus der Kommunalpolitik Anfang 1933 folgte im Juli 1937 ihre vorzeitige Pensionierung aus dem Schuldienst – „aus politischen Gründen“: Hintergrund war, dass sie am 25. Mai 1937 einen Antrag auf  „Versetzung in den Ruhestand“ gestellt hatte.32 Dass es sich hier um die „Zwangspensionierung“ – wohl notgedrungen auf eigenen Antrag – einer strikten Gegnerin des Nationalsozialismus gehandelt haben dürfte, wird durch ihre offensichtlich von Schule und Politik eingeforderte Erklärung auf einem Formblatt der Kaiserin-Auguste-Viktoria-Schule vom 2. Oktober 1935 deutlich. Hier gibt sie an,  dass sie dem Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverein als Dach- und Berufsverband33, Abteilung Philologinnen bis zu seiner Auflösung 1933 angehört habe,34 dass sie bis zu seiner Auflösung 1933 Mitglied im Reichsbund höherer Beamten und ab 1933 im Philologen Verband gewesen sei. Außerdem führt sie auf, dass sie dem N.S.L.B. (Nationalsozialistischer Lehrerbund) vom 1. August 1933 bis zum 1. Januar 1934 angehört habe.35 Die Angabe zur Kürze der Dauer ihrer Mitgliedschaft im N.S.L.B. muss deutlich als Provokation empfunden worden sein. Ihre politische Einstellung geht auch aus ihrem Antrag auf „Anerkennung als Geschädigter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“ vom 6. bzw. 12. Dezember 1952 hervor, wo sie exponiert, dass sie „im Mai 1937 aus politischen Gründen mit sofortiger Wirkung“ aus ihrem „Amt als Oberstudienrätin an der damaligen Kaiserin-Auguste-Viktoria-Schule in Duisburg Ruhrort entfernt und zum 1. November 1937 zwangspensioniert“ wurde. Nach intensiver Prüfung durch den „Kreis-Anerkennungsausschuss“ wurde sie per Beschluss vom 30. Juni 1953 offiziell als „Geschädigte der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“ anerkannt, zumal sie „nach ihrer eigenen Erklärung weder Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen“ war „noch … jemals Antrag auf Aufnahme in diese gestellt“ hat.36 Wie Hedwig Averdunk von 1937 bis 1945 ihren Lebensunterhalt verdiente, ist nicht bekannt.

 Die „gebildete Dame“ und Duisburg im Wiederaufbau: 1945 – 1955 Leiterin des städtischen Übersetzungsbüros37

1945 wurde sie als Leiterin des städtischen Übersetzungsbüros (Dolmetscherbüros) vom damaligen Oberbürnach dem 2. Weltkrigermeister Dr. Weitz ins Rathaus berufen. Er bedankte sich ausdrücklich bei ihr, dass sie sich – immerhin im Alter von 64 Jahren – „liebenswürdigerweise dem Dolmetscherbüro der Stadtverwaltung zur Verfügung gestellt“ habe.38 Am 20. Juni 1945 verfügte er, dass „das Übersetzungsbüro unter der Leitung der Frau Oberstudienrätin Averdunk“ ihm „unmittelbar“ unterstehe und ferner: „Das Büro wird dem Besatzungsamt – 19/6 – als selbständige Dienststelle in personeller usw. Hinsicht angegliedert.“39

Offensichtlich hatte nach dem 2. Weltkrieg ihre Arbeit einen hohen Stellenwert beim Wiederaufbau der Industriestadt Duisburg und ihrem wirtschaftlich wichtigen Binnenhafen: Sie wäre, so berichtete die Presse anlässlich ihres 90. Geburtstags, als Dolmetscherin bei fast allen wichtigen Verhandlungen mit den Besatzungsmächten dabei gewesen und habe darüber hinaus „alle Anträge der Industrie zum Wiederaufbau der zerstörten Werke und auf Wiederaufnahme der Arbeit“ bearbeitet.40

Erst am 30. Juni 1954 schied Hedwig Averdunk, die „am 29. Mai 1946 das 65. Lebensjahr vollendet“ hatte, mit 73 Jahren aus dem Dienst der Stadt Duisburg aus und trat endgültig in den Ruhestand.41

Für Hedwig Averdunk hatte die Solidarität unter Frauen, so wie sie sie selbst im Kontext ihres Beförderungsverfahrens an der Schule und sicherlich im „Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverein“ erlebt hatte, eine große Bedeutung. In der Politik allerdings lehnte sie „gesonderte Frauenwahllisten, wie sie in der einen oder anderen Stadt aufgetaucht“ waren, ab. Stattdessen propagierte sie die überparteiliche „Zusammenarbeit mit den Frauen der anderen Fraktionen“ und damit die  Durchsetzung von Fraueninteressen durch „fruchtbare Zusammenarbeit“ innerhalb der jeweiligen Partei.

Insgesamt gesehen hat sie mit ihrem beruflichen und politischen Wirken einen wichtigen Beitrag zur Verwirklichung von Frauenrechten in Duisburg geleistet und bereits in der Weimarer Republik wichtige Grundlagen gelegt.42

Doris Freer/ Duisburg

  1. Die zitierten Quellen (Zeitungsartikel und -anzeigen, Dokumente, Hedwig Averdunks Personal- und Wiedergutmachungsakten, Verwaltungsberichte, Protokolle von Stadtverordnetenversammlungen u.a. der zitierten Quellen) befinden sich alle im Duisburger Stadtarchiv (StADU). – Eine Besonderheit bei der Recherche war, dass zwei Personalakten von Hedwig Averdunk  im Stadtarchiv Duisburg (eine zu ihrer Tätigkeit an den verschiedenen Schulen: Bestand 400 A/5563, Personalakte I), die andere ab 1945 als Mitarbeiterin der Stadtverwaltung Duisburg (Personalakte II) sowie eine Wiedergutmachungsakte aufgefunden wurden.
  2. Erste Ergebnisse s. Freer, Doris, Weibliche Abgeordnete in der Stadtverordnetenversammlung Duisburg 1919 – 1933, in: http://www.frauenbueros-nrw.de/images/ratsfrauen_pdf/Duisburg.pdf  (Freer 2018) – aufgerufen am 5.8.2019
  3. Dr. h. c. Heinrich Averdunk (*12. Juli 1840 Neukirchen bei Moers – †4. Januar 1927 in Duisburg). Alma Averdunk, geb. Klanke (*12. Juli 1855 in Hamburg – †20. Januar 1928 in Duisburg); Heirat der Eltern am 7. April 1877 in Hamburg. – Lebensdaten von Alma Averdunk waren lediglich auf den Sterbeurkunden von Alma und Heinrich Averdunk bzw. ihrer Todesanzeige (Rhein-Ruhr-Zeitung (RRZ) v. 21.1.1928 ) auffindbar. – S. a. https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Averdunk – aufgerufen am 9.8.2019.
  4. Duisburger General-Anzeiger (DGA), 19.2.1919 und Verwaltungsbericht der Stadt Duisburg 1919, S. 189.
  5. Duisburger General-Anzeiger (DGA, 20.2.1919)
  6. Dies waren Maria Arning und Therese Cremers von der SPD, Frieda Heidkamp vom Zentrum und Margarete Pasie von der Deutschen Demokratischen Partei (DDP). – Dazu s. Freer (2018), S. 12 ff.
  7. Übersicht „Städtevergleich“ s. Freer, Doris, „1919 – 2019: Duisburger Sozialdemokratinnen gestern und heute“, Powerpoint-Präsentation zum Vortrag am 23. Februar 2019. – s. https://spd-frauen-duisburg.de/wp-content/uploads/2019/02/Pr%c3%a4sentation-Festakt-23_2_2019_1.pdf , S. 16: Diese – und weitere –  Zahlen konnten auf der Basis einer schriftlichen Befragung der kommunalen Frauenbüros/Gleichstellungsstellen NRW, die von mir von Anfang August bis Mitte September 2018 durchgeführt wurde, ermittelt werden. Ein ausführlicher Städtevergleich nebst einem Literatur- bzw. Quellenverzeichnis zu den befragten Städten findet sich in meinem Aufsatz zu den ersten weiblichen Duisburger Stadtverordneten 1919 – 1933, der im Herbst/Winter 2019 in den „Duisburger Forschungen“ Bd. 63 (2019) erscheinen wird.
  8. „Die Frauen der Deutschen Volkspartei zur Wahl.“, DGA, 15.11.1929.
  9. Vgl. Rhein-Ruhr-Zeitung (RRZ), 5.5.1924 – s. https://zeitpunkt.nrw/ulbbn/periodical/zoom/6145261 – aufgerufen am 25.8.2019
  10. Vgl. Personalakte Averdunk, Mitgliedschaft in Beamten(Lehrer)-Vereinen, Erklärung vom 2.10.1935. – Zum ADLV s. Liebig, Sabine, Allgemeiner Deutscher Lehrerinnenverein (ADLV), in https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/allgemeiner-deutscher-lehrerinnen-verein-adlv – aufgerufen am 4.8.2019
  11. Detaillierte Angaben zu ihrer Mitwirkung in sämtlichen Ausschüssen bzw. Gremien s. Verzeichnis der Mitglieder der städtischen Behörden und Ausschüsse 1924–1919 und 1930–1933.
  12. Vgl. Freer 2018, S. 30 ff.
  13. Personalakte Averdunk I.
  14. Unterzeichnerin war „Grete Pasie“. – DGA, 15.10.1929.
  15. DGA, 15.11.1929.
  16. DGA, 15.11.1929.
  17. DGA, 15. 1. 1919. Es sollte noch 70 Jahre dauern, bis mit der Verabschiedung des – von der Frauen-/Gleichstellungsbeauftragten erarbeiteten – Ersten Frauenförderplans der Stadtverwaltung Duisburg  ein umfangreicher Maßnahmenkatalog gegen die berufliche Diskriminierung von Frauen in der Stadtverwaltung Duisburg strukturell implementiert wurde. Der erste Frauenförderplan der Stadtverwaltung Duisburg (Drucksache Nr. 7422) wurde am 19. Juni 1989 vom Rat der Stadt beschlossen und trat am 1. Juli 1989 in Kraft.
  18. Von 1901 bis 1903 weilte sie in Genf, je drei Wochen 1904, 1908 und 1910 in England, vgl. Personalblatt der Hedwig Averdunk an der höheren Töchterschule bzw. des Lyzeums mit Oberlyzeum und Studienanstalt Duisburg vom 24. Februar 1912, ergänzt am 4. September 1934  – Auch zum Vergnügen scheint sie gerne gereist zu sein, s. die Passagierliste der Nordd. Lloyd, Bremen vom 28. März 1935: https://search.ancestry.de/cgi-bin/sse.dll?indiv=1&dbid=9734&h=600442&tid=&pid=&usePUB=true&_phsrc=ufa1&_phstart=successSource.
  19. StADU Bestand 418/110: Jahresbericht 1903–1914 über die höhere Mädchenschule zu Duisburg, S. 30. Vgl. den  Personalbogen der Studienanstalt der Stadt Duisburg vom 13.7.1925: s.a. http://opac.bbf.dipf.de/cgi-opac117/digiakt.pl?id=p87469&dok=PEB-0003&f=PEB-0003-0336-01&l=PEB-0003-0336-04&c=PEB-0003-0336-01 
  20. Trotz intensiver Suche war ein Foto von Hedwig Averdunk nicht aufzufinden. Hingegen konnte ermittelt werden, dass sie 170 cm groß war und zum Termin ihrer Einstellung 66,5 Kilogramm wog, vgl. die Personalakte I, amtsärztliches Gutachten vom 5. Juli 1910.
  21. StADU Bestand 418/110: Jahresbericht 1903–1914 über die höhere Mädchenschule zu Duisburg, S. 14.
  22. Zur Entwicklung des höheren Mädchenschulwesens in Duisburg s. Ader, Katrin,  „Bildung und Erziehung: Für’s Leben lernen“, in: „Frauen machen Geschichte. Materialien zur Duisburger Frauengeschichte“, Hg. Stadt Duisburg, Gleichstellungsstelle für Frauenfragen, Doris Freer, Duisburg 1991, S. 60 ff.
  23. Vgl. http://aletta-haniel-gesamtschule.de/schule/geschichte/
  24. StADU Niederschrift des Elternbeirats der Schule zum TOP „Oberstudienratsstelle“ vom 22. März 1928 (Personalakte I).
  25. Der Arbeitsgemeinschaft der Duisburger Frauenvereine gehörten zum Zeitpunkt der Antragstellung – am 21. Mai 1928 – immerhin 24 Frauenvereine an, hauptsächlich aus dem Bereich der Förderung der Frauenerwerbsarbeit (berufsständische Vereine unterschiedlicher Berufsgruppen, insbesondere aus dem Lehrerinnenbereich) sowie Frauenvereine unterschiedlicher Glaubensrichtungen (evgl., kath. und der israelitische Frauenverein) sowie sozial engagierte Vereine; vgl. StADU Personalakte I.
  26. Unterzeichnet wurde dieser Antrag vom 21. Mai 1928 von „Fr. Schumacher. 2. Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Duisburger Frauenvereine“. Hierbei wird es sich um die Rektorin Franziska Schumacher vom Zentrum handeln, die, wie auch Hedwig Averdunk, Stadtverordnete in der Duisburger Stadtverordnetenversammlung war; vgl. StADU, Personalakte I
  27. StADU Eingabe vom Juli 1928 (Eingegangen beim Oberbürgermeister am 31. Juli 1928) Personalakte I.
  28. Ebd. Eingabe vom 29.11.1928.
  29. StADU Schreiben des Oberbürgermeisters vom 16.12.1928, Personalakte I.
  30. StADU Bestand 400 A/5563, Auszug aus dem Sitzungsprotokoll des Personalausschusses für höhere Lehranstalten vom 14. Nov. 1928. – Ebenda, Zustellungsbescheinigung.
  31. Ausführlich dazu s. Verwaltungsbericht der Stadt Duisburg für 1933, S. 23.
  32. Vgl. StADU Personalakte II, S. 63, datiert vom 25. bzw. 28. Mai 1937.
  33. https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/allgemeiner-deutscher-lehrerinnen-verein-adlv#actor-content-about – aufgerufen am 28.8.2019
  34. Ebd., Anm. 33.
  35. StADU Personalakte II, S. 60.
  36. StADU, Schreiben des Kreis-Anerkennungsausschusses vom 30. Juni 1953. In ihrem Antrag auf Anerkennung als „Geschädigte der national-soz. Gewaltherrschaft“, datiert vom 8. Dezember 1952, bezeichnet sie sich selbst als „zwangspensioniert“. Bestand 506/1856: Wiedergutmachungsakte-Nr. 01856.
  37. Vgl. StADU,Vermerk zur Verwaltungskonferenz am 6. Juli 1953 (Personalakte II, S. 51).
  38. Vgl. StADU, Schreiben von Oberbürgermeister Dr. Weitz vom 7. Mai 1945 (Personalakte II, S. 77).
  39. Ebd. S. 7.
  40. „Dr. Weitz holte sie 1945 in das Rathaus. Hedwig Averdunk wird morgen 90 Jahre alt“, Artikel in: Westdeutsche Allgemeine Zeitung vom 29.5.1971. „Hedwig Averdunk gestorben. Oberlehrerin leitete Übersetzungsbüro der Stadtverwaltung“, Artikel in: Frau-Rat-Goethe-Bund, Jg. 24, Heft 24, 1974.
  41. Vgl. StADU, Personalakte II, S. 63, datiert vom 25. bzw. 28. Mai 1957.
  42. Vgl. dazu auch ihren Vortrag, den sie kurz vor der Kommunalwahl 1929 in Duisburg gehalten hat, abgedruckt als „Die Frauen der Deutschen Volkspartei zur Wahl“ (DGA 15.11.1929).
Orte:

Duisburg

Literatur:

Freer, Doris, Weibliche Abgeordnete in der Stadtverordnetenversammlung Duisburg 1919 – 1933, in: http://www.frauenbueros-nrw.de/images/ratsfrauen_pdf/Duisburg.pdf (Zugriff 20. Aug. 2019)

Ein ausführlicher Städtevergleich nebst einem Literatur- bzw. Quellenverzeichnis zu den befragten Städten findet sich in Freer, Doris, Die ersten weiblichen Duisburger Stadtverordneten 1919 – 1933, in: Duisburger Forschungen, Bd. 63 (2019) (in Druck).

„Frauen machen Geschichte. Materialien zur Duisburger Frauengeschichte“, hg. Stadt Duisburg/ Gleichstellungsstelle für Frauenfragen, Duisburg 1991.

Die Anfänge des Mädchenschulwesens – oder: Öffentliche versus private Bildung für Mädchen im 19. Jahrhundert. In: Arnold, Udo u.a. (Hrsg.): Stationen eines Hochschullebens. Festschrift für Annette Kuhn. Dortmund 1999, S. 330-346.

Zitation: Freer, Doris, Hedwig Averdunk, Version 1.0, in: frauen/ruhr/geschichte, https://www.frauenruhrgeschichte.de/biografien/hedwig-averdunk/

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