Gerta Overbeck / 1898–1977

Eine bedeutende Malerin der Neuen Sachlichkeit

Gerta Overbeck wurde 1898 in eine großbürgerliche Dortmunder Familie hineingeboren, die eine künstlerische Atmosphäre pflegte und die musischen Neigungen ihrer Kinder förderte. Ihre Mutter Hedwig war die Tochter des Oberbürgermeisters Schmieding, ihr Vater Julius entstammte einer im Brauwesen erfolgreichen Familie. Um 1900 zog die Familie nach Selm-Cappenberg, wo bereits der Großvater ein Haus als ländliches Refugium hatte erbauen lassen. Gerta Overbeck verbrachte dort den Großteil ihrer Kindheit und Jugend.

Nach dem Abitur studierte sie von 1915 bis 1918 am Zeichenlehrerseminar der Kunstgewerbeschule Düsseldorf und schloss die Ausbildung mit dem Examen ab. Elementares Zeichnen war seit 1872 in Preußen obligatorisches Unterrichtsfach und der Bedarf an guten Zeichenlehrern wuchs. Die Ausbildung bot auch Frauen eine berufliche Perspektive. Nach dem Examen absolvierte Gerta Overbeck zunächst ein Probejahr als Zeichenlehrerin am Goethe-Lyzeum in Dortmund. Im Herbst 1919 schrieb sie sich jedoch an der Kunstgewerbeschule in Hannover ein, um sich künstlerisch weiterzuentwickeln. Dafür erhielt sie insbesondere in der Grafikklasse von Fritz Burger-Mühlfeld (1882–1969) entscheidende Impulse.

Fritz Burger-Mühlfeld lehrte die Gestaltungsprinzipien abstrakter Komposition im Zusammenspiel mit figürlicher Bildgestaltung. Ihm ging es weniger um die Nachahmung der Wirklichkeit als vielmehr um Konstruktionen von Wirklichkeit. „Ich selbst hatte mein Zeichenlehrerexamen in Düsseldorf gemacht und sehnte mich nach künstlerischer Ausbildung. Burger-Mühlfeld war ein äußerst anregender Künstler und Lehrer. Bei ihm konnte ich die Köpfe und Töpfe, die Schmetterlinge, Eichenblätter und Zigarrenkisten, überhaupt die ganze Perspektive vergessen, die man mir in Düsseldorf auf dem Seminar beigebracht hatte“, erinnerte sich Gerta Overbeck später. Gemeinsam mit Studienkollegen und -kolleginnen suchte sie Bildthemen und Sujets im Alltag, bei den kleinen Leuten und ihren Nöten. Im Mittelpunkt ihres malerischen Interesses standen der Mensch und die Komposition. Gestalterisch verband sie in ihren frühen Arbeiten expressionistische, konstruktivistische wie auch kubistische Stilelemente.

Mit voranschreitender Inflation musste Gerta Overbeck aus materieller Not das Studium 1922 aufgeben. Sie ging zurück nach Dortmund und unterrichtete bis 1931 als Kunsterzieherin an verschiedenen Lyceen. Ihre engen, freundschaftlichen Bindungen in Hannover, insbesondere zu den Künstlern Grethe Jürgens (1899–1981) und Ernst Thoms (1896–1983), blieben jedoch bestehen: „In Dortmund wohnte ich, in Hannover war ich beheimatet.“ In ihrer unterrichtsfreien Zeit zeichnete und malte sie intensiv weiter. Zu den Milieustudien und Genreszenen kamen Baustellen- und Industrieansichten mit Zechen, Halden, Hochöfen und Stahlwerken. In Bildern wie „Stahlwerk“ (1925), „Industrielandschaft“ (1927) oder „Dortmunder Norden“ (um 1932/33) verbildlichte Gerta Overbeck die industrielle Arbeitswelt des Ruhrgebiets eindrücklich. In Werken wie „Im Café“ (1923), „Jazzkapelle“ (1925), „Sechtagerennen“ (1926) oder „Im Kino“ (1927) gab sie vielschichtige Einblicke in die gesellschaftlichen Entwicklungen der Weimarer Republik. Die Gouache „Im Cafe“ beispielsweise zeigt eine Frau ohne Begleitung in einem Kaffeehaus, heute ein Topos der selbstbewussten und unabhängigen Neuen Frau der Zwanziger Jahre. Sie ist zudem interessant, da bisher dieses Bildthema in der Malerei erst ab 1925 nachgewiesen werden konnte. Gerta Overbeck griff es aber schon 1923 auf – vor Otto Dix oder Ernst Thoms. Künstlerinnen wie sie verkörperten selbst den neuen Frauentyp, den sie in ihren Bildern immer wieder thematisieren und in seinen vielschichtigen Beziehungen zur Moderne reflektierten.

Nach neunjähriger Lehrtätigkeit entschloss sich Gerta Overbeck 1931 – trotz Weltwirtschaftskrise – als freie Künstlerin zu arbeiten und ging zurück nach Hannover. Sie arbeitete an der von Grethe Jürgens herausgegebenen Kunstzeitschrift „Der Wachsbogen“ mit und nahm an einer Reihe von Ausstellungen teil, wie etwa an der großen Sonderausstellung „Die Neue Sachlichkeit in Hannover“, wo sie mit der hohen Anzahl von 17 Arbeiten vertreten war. Das Jahr 1933 bildete zunächst keine Zäsur, die Hannoverschen Neusachlichen unterlagen keinem direkten Ausstellungsverbot. Die sich bis 1937 verfestigende NS-Kunstpolitik zwang sie jedoch zunehmend zu harmloseren Sujets und unverfänglichen Themen.

1937 brachte Gerta Overbeck ihre Tochter Frauke zur Welt und heiratete kurz darauf den Vater des Kindes, den Schriftsteller Gustav Schenk (1905–1969). Die Ehe bestand bis 1940. Noch 1937 verließ Gerta Overbeck Hannover und ging für mehrere Monate nach Worpswede. Anschließend kehrte sie zusammen mit ihrer Tochter ins Elternhaus nach Selm-Cappenberg zurück.
Ein für sie schwieriges, eher zurückgezogenes Leben begann. Von ihrer Kunst konnte sie nur sehr bescheiden leben. Sie leitete Zeichen- und Malkurse an der Volkshochschule in Lünen. Künstlerisch blieb sie der realistischen Bildsprache verbunden. Die Menschen und die Umgebung ihres Wohnortes standen nun im Mittelpunkt ihres Interesses. Außerdem setzte sie sich mit religiösen Themen auseinander. Zudem experimentierte sie mit weiteren künstlerischen Techniken wie etwa der Glasmalerei. Von 1958 bis 1961 besuchte sie die Klasse für Glasmalerei an der Werkkunstschule in Braunschweig.

Als in den sechziger Jahren die Neue Sachlichkeit wiederentdeckt wurde, rückte auch Gerta Overbeck in den Focus der kunsthistorischen Aufarbeitung. Sie erfuhr endlich die verdiente Anerkennung und Würdigung. Am 2. März 1977 starb Gerta Overbeck in Lünen.

Werke von ihr befinden sich im Sprengel Museum in Hannover, im Museum der Stadt Lünen und im Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Stadt Dortmund. Viele aber auch in privaten Sammlungen. In den Städten Hannover, Lünen, Selm-Cappenberg und Wolfsburg sind Straßen nach ihr benann

Olge Dommer / LWL-Industriemuseum

Orte:

Werke von Gerta Overbeck im Museum der Stadt Lünen, Schwansbeller Weg 32, 44532 Lünen
Werke von Gerta Overbeck in der Sammlung und in der ständigen Ausstellung „Die Neue Stadt“ im Museum für Kunst- und Kulturgeschichte, Hansastraße 3, 44137 Dortmund
Gerta Overbeck Straßen in den Städten Lünen und Selm-Cappenberg sowie Hannover und Wolfsburg

Literatur:

Almus, Georg (Autor), FORUM KUNST, Kunstverein Lünen, Gerta Overbeck - Lünen/ Selm - Gerta Overbeck, Veröffentlichungen zu Kunst- und Kulturschaffenden, Kunst- und Kulturförderern des Raumes Lünen, mit Texten von Frauke Schenk, MArie-Luise Huster, Fotos von Anneliese Kretschmer, Lünen 2012.
Dommer, Olge:„Und sehnte mich nach künstlerischer Ausbildung“. Zum Leben und Werk von Gerta Overbeck (1898-1977), in: Heimat Dortmund, 1/ 2008, S. 14–17.
Fuhrmeister, Christian (Hg.),„Der stärkste Ausdruck unserer Tage“, Neue Sachlichkeit in Hannover, Ausstellungskatalog Sprengel Museum Hannover, Hildesheim 2001.
Lehnemann, Wingolf, Gerta Overbeck, Informationen aus dem Museum der Stadt Lünen, Nr. 26, Lünen 2002.
Mensch und Menschenwerk im Blick der Verschollenen Generation. Ausgewählte Werke der Sammlung Brabant, Ausstellungskatalog Schloss Cappenberg, hg. v. Kreis Unna/ Thomas Hengstenberg, Bönen 2006.
Reinhardt, Hildegard: Gerta Overbeck (1898–1977), in: Britta Jürgs: (Hg.): Leider hab ich‚Äôs Fliegen ganz verlernt. Portraits von Künstlerinnen und Schriftstellerinnen der Neuen Sachlichkeit, Berlin 2000, S. 124–139.
Zielke, Sigrid: Mit Cappenberg eng verbunden. Gerta Overbeck-Schenk und die Neue Sachlickeit, in: Jahrbuch des Kreises Unna 2010, Band 31, hg. v. Kreis Unna/ Der Landrat, S. 80–84.

Zitation: Dommer, Olge, Gerta Overbeck, Version 1.0, in: frauen/ruhr/geschichte, https://www.frauenruhrgeschichte.de/biografien/gerta-overbeck/

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