Marga Wende / 1941

Das Ende der Stahlzeit

Marga Wende stand am 18. Dezember 1987 am Hochofen III der Henrichshütte in Hattingen. Kein typischer Platz für eine Frau. Doch an diesem Morgen stehen viele Frauen und Männer hier, um den Schmelzern der letzten Schicht beizustehen. Es ist ein trauriger Morgen, denn in Hattingen wird an diesem Tag ein letztes Mal Eisen produziert. Ein letztes Mal drängen feuerflüssige Massen lavagleich aus dem Loch im Hochofen. Die Menschen schweigen, vielen stehen die Tränen in den Augen. Am Ende überreicht Marga den Männern der letzten Schicht rote Nelken.
In den letzten Monaten hatte eine Stadt gekämpft. Gekämpft für die Hochöfen, die den Menschen Arbeit gab.

Marga Wende, Betriebsrätin und aktiv in der Fraueninitiative, wollte sich nie vordrängeln und doch stand sie bei Demonstrationen und Kundgebungen in den ersten Reihen. Sie tat, was sie für richtig hielt, unterstützte Kollegen, setzte sich für Kolleginnen ein.

1987 hat Marge Wende bereits 29 Jahre ihres Arbeitslebens auf der Henrichshütte verbracht. Die Henrichshütte prägte ihr Leben von Anfang an. Im Laufe der Zeit hat aber auch sie das Miteinander auf der Henrichshütte, ja das Miteinander der ganzen Stadt Hattingen geprägt.

Geboren am 20. Juni 1941, als drittes Kind eines Hüttenarbeiters, verbringt sie ihre ersten Lebensjahre in der Unionstaße am Rande der Henrichshütte. Es herrscht Krieg in Deutschland und das Leben in der Nähe eines Rüstungsbetriebes wird der Familie zum Verhängnis. Im Oktober 1944 versuchen die Alliierten mit ihren Bomben, den Rüstungsbetrieb zu zerstören. Doch sie treffen das angrenzende Wohngebiet. Mutter und Tante werden im Bombenhagel unter Trümmern begraben.

Dieses tragische Ereignis reisst die Familie auseinander. Der Vater muss seinen Lebensunterhalt verdienen und kann sich nicht selbst um die kleinen Töchter kümmern. Die dreijährige Marga wird von Verwandten liebevoll aufgenommen. Trotzdem wird sie den Verlust ihrer Familie immer bedauern.

Marga besucht die Volksschule. Ist sie eine gute Schülerin? Ihre neue Familie zieht von Hattingen nach Welper. Dann geht sie zur Handelsschule. Später denkt sie darüber nach, ob dies bei ihren Eltern möglich gewesen wäre. Es musste Schulgeld gezahlt werden und bei drei Kindern wäre der Familie das nicht leicht gefallen. So ist sie aber das einzige Kind ihrer Pflegeeltern, die ihr diesen Schulbesuch gerne ermöglichen.

Dann beginnt ihr Arbeitsleben, natürlich auf der Henrichshütte. Dort ist schon der Vater beschäftigt und die Hütte gibt vielen Hattingern Arbeit und Brot. 1958 beginnt das junge Mädchen in den kaufmännischen Abteilungen. Im gleichen Jahr schreibt die Werkszeitung, dass nur die Hälfte aller Frauen länger als drei Jahre im Betrieb sind, dass sie aber in den Büros schon die Mehrheit stellen.

35 Jahre später erhält Marga eine Uhr, sie ist der Hütte treu geblieben. Auch ihre männlichen Kollegen bekommen nach 35 Jahren eine Uhr, doch ist die Herrenuhr ist um einiges teurer. Habgierig möchte sie nicht erscheinen, aber eine ungleiche Behandlung der Frauen duldet sie nicht, also beschwert sie sich.

Sie selbst behauptet, in den ersten Berufsjahren recht bescheiden gewesen zu sein. Schüchtern war sie nie, doch die aktive Rolle in Hattingen der 1980er Jahre war ihr nicht in die Wiege gelegt. Zunehmend engagiert sie sich. 1984 wird sie Betriebsrätin. Erst 1975, im „Jahr der Frau“, wurde die allererste Frau in den Hüttenbetriebsrat gewählt. 1984 war Marga also nicht die erste, für einige Jahre aber die einzige Frau in dieser Männerrunde. 1984 erreichen auch die ersten Schreckensmeldungen den Betrieb. Die 2,8m Straße wird demontiert und nach China gebracht. Ein erster Widerstand gegen den Abbau der Arbeitsplätze formiert sich, ist aber erfolglos.

Als die Werksleitung 1987 die Stilllegung der Hochöfen verkündet, wird Marga Mitgründerin der Fraueninitiative und eine der Sprecherinnen. Sie lernt, in der Öffentlichkeit aufzutreten und setzt sich für Frauen ein – aber auch für jeden Kollegen. Im Sommer 1987 beginnen zwölf Frauen einen Hungerstreik – Marga ist unter ihnen. Diese Frauen wollen nicht mehr bescheiden sein, sie wollen auf die schwierige Situation aufmerksam machen. Was geschieht wenn die Hochöfen in Hattingen ausgeblasen werden? Marga Wende, eine ganz normale Frau! Eine Frau die demonstrierte, die den Widerstand organisierte und häufig im Mittelpunkt stand! Eine Frau und gute Köchin, die Sekt mochte und über Witze herzlich lachte. Erzählen konnte sie Witze nicht, auch dann lachte sie, meist lange vor der Pointe.

Die Bescheidenheit hat Marga Wende in der Zeit des Hüttenkampfes abgelegt. Sie vertrat ihre Meinung auch in der Öffentlichkeit. Sie ließ sich nicht an die Seite schieben. Die Fraueninitiative – von den Männern zunächst belächelt – machte in dem Jahr 1987 klar, dass Frauen kämpfen können. Marga hätte sich gewehrt, hätte man sie als Anführerin bezeichnet. Die Fraueninitiative wurde durch viele getragen, doch Marga war eine ihrer großen Stützen.

Am 20. November 1999 starb Marga Wende an einem Krebsleiden. Kränze wollte sie nicht, die Trauergäste sollten für die Krebsforschung spenden.  Auch das war Marga Wende!

Ute Senger / LWL-Industriemuseum Henrichshütte Hattingen

Orte:

LWL-Industriemuseum Henrichshütte Hattingen, Werksstraße 31-33, 45527 Hattingen

Literatur:

Zeitgenossinnen, Frauengeschichte(n) aus Nordrhein-Westfalen von 1946 bis 1996, hg. v. Ministerium für die Gleichstellung von Mann und Frau des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1996, S. 114-117.
König, Otto/ Laube, Robert/ Stratmann, Egon (Hg.), Das Ende der Stahlzeit – Die Stilllegung der Hattinger Henrichshütte, Klartext Verlag Essen 1997.

Zitation: Senger, Ute, Marga Wende, Version 1.0, in: frauen/ruhr/geschichte, https://www.frauenruhrgeschichte.de/biografien/marga-wende/

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