Hilde Hauck / 1905-1988

Jeder Tag ein Balanceakt

Wie kann man sich „Widerstand gegen den Nationalsozialismus“ vorstellen? Der Kommunistin Hilde Hauck verdanken wir aufgezeichnete Erinnerungen, die etwas von ihrem Alltag in der Verfolgung erzählen. Als langjährige Leiterin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) in Lünen hat sie unermüdlich vor allem jungen Leuten von ihrer illegalen Arbeit gegen den Nationalsozialismus erzählt, um politisch aufzuklären.

Caroline Ernestine Hildegard Hauck, geb. Unglaube, arbeitete als gelernte Verkäuferin zunächst als Verwaltungsangestellte in Lünen. Als sie von den Arbeiter-Abiturienten-Kursen hörte, die der Sozialist Kurt Löwenstein als Stadtrat für Volksbildungswesen in Berlin-Neukölln einrichten konnte, machte sie sich ohne Erlaubnis der Eltern auf den Weg nach Berlin. Sie wollte immer studieren, doch das Geld reichte nur für die Ausbildung des Bruders mit dem Argument, er müsse schließlich später eine Familie ernähren. Vormittags besuchte Hilde Hauck in Berlin die Schule, nachmittags arbeitete sie in der Volksbibliothek zu Neukölln, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie machte als eine von zwei Frauen in einem Kurs mit 34 Männern ihr Abitur in neun Fächern. 1930 begann sie ein Studium der Volkswirtschaft. In Berlin trat sie auch in die KPD (Kommunistische Partei Deutschlands) ein, mit der Hoffnung, aktiv dem immer stärker werdenden Nationalsozialismus etwas entgegensetzen zu können. Als es in Berlin zu gefährlich wurde, führte sie ihr Studium in der deutschen Wolga-Republik in der Sowjetunion fort. In Moskau arbeitete sie als Journalistin für die deutschsprachige Presse. 1935 wurde ihr Sohn Alfred geboren und 1938 kehrte sie als Kommunistin nach Deutschland zurück, nachdem ihr erster Mann, Kurt Neumann, bei den stalinistischen Säuberungen verhaftet worden war – er wurde später rehabilitiert.

In Berlin meldete sie sich bei den Behörden als Verfolgte in der Sowjetunion – ein wohlüberlegter Weg, sich unter den Augen der Verfolgungsbehörde in den Widerstand einzuschleusen, denn über kurz oder lang wäre sie verhaftet und verhört worden. In Berlin kam ihre Tochter zur Welt. Wenig später kehrte Hilde Hauck nach Lünen zu ihren Eltern zurück und bekam eine Stelle bei der Stadtverwaltung, unter anderem arbeitete sie als Dolmetscherin für die russischen Fremdarbeiter und Kriegsgefangenen. Über einen Schulfreund knüpfte sie sofort politische Kontakte zu Widerstandsgruppen. Die in Moskau ausgebildete und als „Trojaner“ – so ihre eigene Formulierung – ins Deutsche Reich eingeschleuste Kommunistin wollte aktiv den Nationalsozialismus bekämpfen. Über den Schulfreund Arnold Löbel fand sie zu einer Gruppe Gleichgesinnter: Bergleute, Sozialdemokraten, Unorganisierte, Kommunisten: Jeder von uns hatte seine Verbindungen und betreute andere Gruppen (…) Bei uns hat niemand gefragt, ob einer Kommunist, Sozialdemokrat oder Christ ist.

Die NSDAP meldete illegale Treffen: „Gerüchte über Zusammenkünfte ehemals marxistischer Frauen in Form von Kaffeekränzchen in der Sedanstraße fanden durch überraschenden polizeilichen Zugriff ihre Bestätigung.“ Zu kommunistischem Widerstand lautete die Einschätzung in den politischen Lageberichten der Partei:„Es konnte festgestellt werden, dass sich der größte Teil der ehemaligen Kommunisten an dem Winterhilfswerk beteiligte. Hiermit ist aber nicht gesagt, dass sie jetzt plötzlich auch schon ihre Gesinnung geändert haben, sondern in streng vertrauten Kreisen geben sie sich noch als Gegner des heutigen Staates zu erkennen und glauben immer noch, dass sich der heutige Staat aufgrund der Lebensmittelknappheit nicht mehr allzu lange halten kann.“ Bei Böttcher und Valenta, Kneipen auf der Langen Straße, trafen sich samstags und sonntags weiterhin Anhänger der KPD.

Hilde Hauck erinnerte sich: „Jeder Tag war für uns ein Balanceakt. Ich arbeitete auf dem Jugendamt. Regelmäßig kam ein kleines Mädchen zu uns und holte Unterhaltsgeld ab. Ihre Mutter war Jüdin. Da musste man immer taktieren. Man wusste nie, wann man abgeholt wird von der Gestapo. „Komisch sagte eines Tages ein Kriminalbeamter zu mir, ‚es flüchten so viele ausländische Zwangsarbeiter nach Lünen. Da soll es ein Gerücht geben: Wenn ihr weglaufen wollt, dann geht nach Lünen; da ist eine Frau, die hilft. Finden Sie das nicht auch komisch? Ich weiß nicht, ob er mich in Verdacht hatte.“

Die Gestapo verlangte von ihr, Namen preiszugeben. Die Gefahr, dass die Widerstandgruppe aufflog, war groß. Um den Verdacht abzulenken, entschieden sie, dass einer aus ihren Reihen – Hein Hauck, den Hilde später heiratete – in die NSDAP eintreten müsse. Sie besprachen diesen taktischen Zug mit ihrem Verbindungsmann in Dortmund. Hein Hauck ließ sich nur schwer überzeugen, doch letztlich ging es um die Gruppe und all ihre Verbindungen.

Gegen Ende des Krieges entkam Hilde Hauck nur knapp dem Tod: In Dortmund-Eving sollte eine Versammlung stattfinden. Diese Veranstaltung war jedoch eine Falle. Kurz vor Beginn wurde Hilde Hauck gewarnt. Doch nicht alle erhielten diese Warnung rechtzeitig. Die Widerständler aus Dortmund-Brechten wurden, als sie sich in Eving einfanden, sofort verhaftet.
Nach der Befreiung wurde Hilde Hauck von der Britischen Militärbehörde in den ersten Landtag des neu gegründeten Landes Nordrhein-Westfalen berufen und Mitglied in der Lüner Kommunalvertretung. Bis zum Verbot der KPD 1956 arbeitete sie als Journalistin für kommunistische Presseorgane. Sie wurde in der Gewerkschaft IG Druck und Papier aktiv und mit der Gründung 1968 Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP).

Dr. Uta C. Schmidt / frauen/ruhr/geschichte

Orte:

Lange Straße, 44533 Lünen

Literatur:

Stadt Lünen, Fredy Niklowitz, Wilfried Heß (Hg.), Lünen 1918-1966. Beiträge zur Stadtgeschichte, S. 167f, S. 294-298.
Tappe, Elisabeth, Die andere Hälfte. Ein Beitrag zur Geschichte der Frauen in Lünen, in: a.a.O., S. 131-180.

Zitation: Schmidt, Uta C., Hilde Hauck, Version 1.0, in: frauen/ruhr/geschichte, https://www.frauenruhrgeschichte.de/biografien/hilde-hauck/

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