„FLiP“ ist die Abkürzung für „Frauenliebe im Pott“, ein 1992 gegründeter Verein, der sich zu einem Kristallisationspunkt für Lesben im Ruhrgebiet entwickelte. Im Jahre 2022 feierte der Verein sein 30-jähriges Jubiläum: „Das hätten wir uns damals nicht träumen lassen. Damals, als wir unsere Flyer mit der Hand schrieben und sie mit Schere und Klebestift gestalteten, als wir eine Anrufbeantworterin hatten und die erste Compute Berta hieß, als wir heiß diskutierten, ob der männliche Heizungsableser unsere Räume betreten dürfe und ob eine Ehe für alle überhaupt erstrebenswert sei.“1 Wie in einem Zeitraffer verdichtet diese Sequenz frauenbewegte, politische, gesellschaftliche, kulturelle und mediale Transformationen seit der Gründungszeit.2
Fast so wie die Lila Nächte in Damenclubs der Weimarer Republik
Nichts erschien Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre spießiger, als einen Verein zu gründen, so, wie Kaninchenzüchter oder Briefmarkensammler, vor allem, wenn sich Frauen als Feministinnen verstanden und Vereine als typisch bürgerlich-patriarchale Organisationsformen ablehnten. Und doch gab es auch historische Anknüpfungspunkte an Vereine von Frauen und Lesben, so an die Lesbenszene der 20er Jahre: „Ich habe damals das Buch ‚Lila Nächte‘ gelesen, über die Lesbenclubs und Lesbenvereine in den 20er Jahren in Berlin. Die haben sich Räume geschaffen, wo sie sich als Lesben zu erkennen und so geben konnten, wie sie sind, und haben auch als Paar zueinander gefunden. Das hat mich sehr angesprochen. Und ich habe unsere Lesbenszene auch so wahrgenommen, dass es da einen Bedarf gab. Dass wir unsichtbar waren und ignoriert wurden. Die Unsichtbarkeit war aber das Entscheidende.“ 3 Die historischen Vorbilder4 machten Mut und nährten die Überlegung, feste Strukturen aufzubauen, um Sichtbarkeit und Anerkennung zu schaffen.
Wie in anderen Ruhrgebietsstätten entwickelte sich auch in Essen in den 1970er/1980er Jahren eine vielfältige Lesbenszene. Lesben gehörten zu den treibenden Kräften der autonomen Frauenbewegung, waren an der Gründung des ersten Essener Frauenzentrums 1976 maßgeblich beteiligt. Es gab eine Lesbengesprächsgruppe beim Mädchen- und Frauentreff PERLE, das Frauenzentrum in der Möserstraße, die SPINNEN in der Bäuminghausstraße. Für Studentinnen entwickelte sich der Frauenraum vom Frauen- und Lesbenreferat an der Universität-Gesamthochschule Essen zu einem ‚place to be‘. Es gab Frauenschwoofs in der Schillerklause und in der Weuenschänke in Essen-Altendorf, der ersten Essener Frauenkneipe, die Ende 1978 als Kneipe von und für Frauen gegründet wurde und 1982 schließen musste.5 Lesben trafen sich in der Falle und im Quarterback. Der erste Frauenschwoof fand 1985 im Kulturzentrum Zeche Carl in Essen-Altenessen statt. Erinnert wird die Lesbenszene von den FLiP Gründerinnen als ein Netz von vielen Gruppen zwischen Sub-Lesben, Subkultur und ‚Schwarzem Block‘, die sich kleinteilig gegenseitig kleidungsmäßig, weltanschaulich und in ihren feministischen Positionierungen abgrenzten. Die Gruppen waren oft nur von kurzer Dauer. In dieser Situation entstand das Bedürfnis nach einer festen Vergemeinschaftungsform. Vielleicht wurde dieses bei den Essener Vereinsgründerinnen auch durch Erfahrungen aus dem Studium der Sozialpädagogik und der Sozialen Arbeit genährt, das sie in Essen aufgenommen hatten und das sie in eine Berufstätigkeit im Sozialen Bereich geführt hatte: Sie wussten, wie wichtig Verbindlichkeit, Verantwortung, Zuverlässigkeit ist.
Die Gründerinnen stellten zudem einen Bezug zur Auflösung linker Politik nach 1989 her, die viele in Organisationsfragen erfahrene Aktivistinnen „heimatlos“ werden ließ. Diese Frauen waren gewohnt, sich konkret einzusetzen, anzupacken, zu organisieren.6 Die FLiP-Gründung eröffnete wieder einen Zusammenhang mit Strukturen: „Eine neue gute Sache, für die man sich einsetzen konnte.“ – „Vor allem für die eigene Sache.“ – „Es ging um unsere Interessen.“ – „Das haben wir dann auch gemacht. Z. B. Gruppen angeboten zum Coming-Out.“7
Interessen von Frauen, die Frauen lieben
Die Gründerinnen verstanden sich politisch als Feministinnen, gleichwohl nicht „extrem oder radikal“.8 Sie lehnten eine Opferrolle ab und forderten Rechte und Anerkennung. Im Vereinseintrag von 1992 heißt es: „Wir wollen uns einmischen, überall dort, wo unsere Interessen als Frauen, die Frauen lieben, betroffen sind. Dazu gehört die Auseinandersetzung mit gesellschaftlicher und individueller Ignoranz und Diskriminierung, mit sozialen und politischen Problemen. Dazu gehört auch, Erfahrungen auszutauschen, Informationen, Rat und Unterstützung anzubieten (…). Dazu gehört erst recht, gemeinsame Dinge zu tun, die einfach Spaß machen. (…) Wir möchten allen Lesben die Möglichkeit zum Mitmachen geben, unabhängig von ideologischen oder politischen Standpunkten und Zugehörigkeiten zu anderen Gruppen.“9 Es ging den Gründerinnen um die Schaffung eines lesbischen Lebenszusammenhangs, um Rat und Beratung, um Repräsentanz und Sichtbarkeit von frauenliebenden Frauen in einer Gesellschaft voller Diskriminierung und Sexismus. Äußerst sympathisch ist in den Vereinsstatuten der ausdrücklich festgeschriebene Verweis auf Spaß, der nicht zu kurz kommen sollte.
1995 konnte FLiP einen Raum in Essen-Schonnebeck anmieten, am 3. Oktober 1995 wurde er nach umfassender Renovierung und Einrichtung mit einem rauschenden Fest eröffnet. 10 Jahre lang konzentrierte sich die Vereinsarbeit im FLiP-Treff Kaldekirche. In den Räumen fanden die monatlichen Mitfrauenversammlungen, Spiel- und Videoabende, Frühstücke und Bruches, Feiern und Jubiläen, Stammtische, Koch- und Tanzkurse, politische Diskussionen, Gruppenabende zum Coming-Out statt. Die Kaldekirche 32 war ein geschützter Lesbenort und somit ‚männerfreie Zone‘, ganz im Sinne der feministisch-lesbischen Position, dass im Patriarchat auch die Lebenszusammenhänge lesbischer Frauen wie die aller Frauen von Männern gemacht und bestimmt werden. Und dies wollten sie ja schließlich im eigenen Lebenskontext und in der gesamten Gesellschaft ändern.
Im Gespräch erinnerte Sabine daran, dass FLiP – in Zeiten vor dem Internet – auch als ‚Single-Börse‘ wichtig war. Hier konnten Frauen bei unterschiedlichen Aktivitäten Frauen kennenlernen. „Beim Schwoof lernst du keine Frau kennen.“ Aber: „Das war auch das Problem für die Vereinskultur. Wenn sich Zwei bei FLiP kennengelernt hatten und ein Paar wurden, blieben sie weg und kamen erst zurück, wenn sie wieder Single waren“.10 FLiP war und ist auch immer auch ein Freizeitverein mit einer frauenbezogenen Geselligkeitskultur.
Das FLiP-Info
Der Verein FLiP e.V. gab in der Zeit von Mai 1993 bis August 2006 51 Ausgaben des FLiP-Infos heraus. Das Info erschienen im DIN A5 Format mit 12, später mit 36 Seiten in einer Auflage von 1.000 Exemplaren, die im Abo mit der Post verschickt wurden oder über Szenekanäle Verbreitung fanden. Eine Redaktion von 19 Lesben war über die Jahre mit Herstellung und Verbreitung befasst. Das Flip-Info kommunizierte die Vereinsaktivitäten in die Region hinein und machte FLiP weit über den Essener Raum bekannt.11 Diese Hefte sind ein ungemein reiches Zeitdokument zur Geschichte lesbischen Lebens im Revier und aller Themen, die dazu gehörten – Aktionen, Diskussionen, Beratungsangebote, Kleinanzeigen und Veranstaltungshinweise. So gab es 1993 allein 16 Schwoof-Angebote pro Monat zwischen Recklinghausen, Wuppertal und Düsseldorf.12
Alles kann – nichts muss!
Seit Beginn stand die Vereinsarbeit bei FLiP unter dem Motto „Alles kann – nichts muss!“ Dies zeigt eine große Offenheit, die von Freizeitaktivitäten über politische Arbeit für die Repräsentation von Lesben bis hin zum internationalen Austausch mit lesbischen und queeren Frauen reicht. Ein zentrales Prinzip der Arbeit besteht darin, dass jede sich mit ihren Kenntnissen und Interessen einbringen kann, sich dann aber auch aktiv um die Durchführung der Angebote kümmern muss. Kann sie diese nicht mehr aufrechterhalten, dann finden sie nicht mehr statt, ein äußerst erfolgreiches Prinzip für ein gelingendes, aktives Vereinsleben: „Wir müssen uns nichts vormachen: Das Gelingen aktiver Vereinsarbeit hat auch immer mit Personen und Persönlichkeiten zu tun.“13 Seit 1993 jedoch ist die Coming-Out Gruppe ein fester Bestandteil der FLiP-Arbeit und wird bis heute als geschützter Raum für Orientierung, Bewusstwerdung und Identitätsfindung weit über Essen hinaus geschätzt. In dieser Gruppe können Frauen Lesben mit ihren Lebenserfahrungen kennenlernen, es hilft zu wissen, dass diese Lesben alle eigene Erfahrungen mit dem Coming-out haben, es ist eine Stütze, mit ihnen laut durchdenken zu können, was könnten die nächsten Schritte und Strategien sein. Bedeutsam ist in diesem Prozess zudem, Frauen aus sozialen Berufen an der Seite zu haben, die bodenständig und professionell helfen. Denn: „Das Coming-Out ist kein Ereignis, sondern ein alltäglicher lebenslanger Prozess, solange Heterosexualität gesellschaftliche Norm ist.“14
Politische Arbeit
Lesben aus FLiP e.V. gehörten zu den Aktivistinnen, die ab 1995 die Gründung der Landesarbeitsgemeinschaft Lesben in Nordrhein-Westfalen (LAG Lesben in NRW)15 vorbereiteten. Die Idee einer überparteilichen Vernetzung, die in Essen mit FLiP bereits erfolgreich wirkte und die auf den seit 1974 stattfindenden Lesben-Pfingsttreffen – 1992 umbenannt in Lesben- Frühling, dann in Lesben-Frühlings-Treffen – immer wieder diskutiert worden war, wollten sie weiter ins Land hinein tragen, um verlässliche Strukturen für eine langfristige Interessensvertretung von Lesben in der politischen Öffentlichkeit zu schaffen, lesbenspolitische Aktivitäten von Vereinen, Gruppen und Projekten in NRW zu bündeln, den Erfahrungsaustausch zu moderieren und Förderstrukturen aus öffentlicher Hand für Vernetzungs- und Organisationsprozesse zu nutzen.16 Am 7. September fand ein Treffen statt, auf dem die Gründung der Landesarbeitsgemeinschaft Lesben in NRW beschlossen wurde. FLiP gehörte zu den Unterzeichner*innen des Gründungsbeschlusses. Martina Peukert, in den Anfangsjahren neben Katharina Junglas und Barbara Meyer Sprecherin der LAG Lesben in NRW, schrieb über die Zeit: „Als Gründungsfrau von ‚Frauenliebe im Pott‘ – kurz FLiP e.V. – lag mir die Vernetzung verschiedener Lesbengruppen sehr am Herzen. Vor 20 Jahren waren die einzelnen Gruppen ausgesprochen gut darin, zunächst einmal das Trennende zu betonen und auf keinen Fall das verbindende. Frau mag sich das heute nicht mehr so recht vorstellen können, aber FLiP wurde z.B. durchaus angefeindet, weil die Vereinsstruktur einigen Frauen als grundsätzlich patriarchal und damit untragbar erschien. Es herrschte auch ein gewisser Argwohn, dass eine LAG nach FLiP-Vorbild gestaltet werden könnte. Die Anfangszeit der LAG war geprägt von Misstrauen, endlosen Abgrenzungsdebatten und Diskussionen vor allem über das, was wir auf keinen Fall wollten, z.B. öffentliche Gelder und hauptamtliche Kräfte. Glücklicherweise hatten jedoch viele Frauen ein unglaubliches Standing, und so wurde aus der zum Teil wirklich zickigen Kleinkrämerei doch noch ein arbeitendes Gremium.“17Der Durchhaltewillen zeitigte nachhaltigen Erfolg. Im Jahre 2022 feierte die LAG Lesben in NRW ihren 25. Geburtstag im Düsseldorfer ZACK.
Zugleich waren die Lesben von FLiP auch 1996 an der Gründung des Forum Essener Lesben und Schwule (F.E.L.S.) beteiligt. Sie entwickelten beständig öffentlichen und politischen Druck in der Stadt, so dass der Essener Stadtrat im Winter im November 1995 eine Resolution gegen die Ausgrenzung und Diskriminierung lesbischer und schwuler Menschen beschloss. Ein runder Tisch erarbeitete in Essen das bundesweit erste „Handlungsprogramm Gleichgeschlechtliche Lebensweisen – Ein Beitrag zur Vielfalt“, dem der Stadtrat zustimmte und das seitdem immer wieder weiter entwickelt wird. Sie drängten auch auf eine offizielle kommunale Stelle, die die Aktivitäten zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt, für Akzeptanz und Sichtbarkeit und für eine emanzipatorische und gleichberechtigte Gesellschaft freier und gleicher Individuen koordiniert. Dies gehört 2022 zum Arbeitsbereich der mittlerweile Koodinierungsstelle Gleichgeschlechtliche Lebensweisen LSBTI* genannten Organisationseinheit bei der Stadt Essen.
Gesellschaftliche Liberalisierungsprozesse hin zu größerer Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Lebensweisen sind – dies zeigt unter anderem die politische Arbeit von FLiP – nicht einfach vom Himmel gefallen, sondern mühsam in kleinen Schritten durch politisches Engagement und strategische Vernetzung auch von Lesben angestoßen worden.
Kreativität, Respekt, Liebe und Kunst
Das, was in Essen und NRW als Vernetzung und Austausch begann, entwickelte sich bei Kontakten mit dem Netzwerk Coalition of African Lesbians weiter, das sich seit 2004 für Menschrechte lesbischer und queerer Frauen einsetzt. Engagiert vorangetrieben durch Cornelia Sperling von FLiP wurden finanzielle Mittel für einen internationalen Austausch eingeworben, der 2018 mit einer Reise von sieben lesbischen Aktivistinnen aus NRW ins südliche Afrika begann. Sie suchten den Austausch mit „lesbischen und queeren Frauen in zivilgesellschaftlichen Gruppen, die sich für das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben und für Gender Equality engagieren“.18 2019 reisten Aktivistinnen des Women’s Leadership Centre aus Namibia, vom Women’s Alliance for Equality, Friends of Rainka und dem Autonomy-Projekt aus Sambia und Lesben von H.E.R. – Health Empowerment Rights aus Botswana nach NRW und wurden in Düsseldorf, Köln und Essen von Initiativen und Institutionen willkommen geheißen. Im Februar und März 2020 konnten drei Diskussionsveranstaltungen in Sambia, Botswana und Namibia stattfinden, bis die Corona-Pandemie die Partnerschaftsarbeit erst einmal stoppte, die noch ausstehende Partnerschaftswoche mit Simbabwe in Dortmund 2020 musste abgesagt werden. Die Aktionswoche wurde im Herbst 2022 nachgeholt. Cornelia Sperling von FLiP stellte die Besonderheit dieser Vernetzung heraus: „Die Beteiligung von lesbischen Aktivistinnen an postkolonialen Allianzen und Eine-Welt-Vernetzungen ist neu in NRW.“19 Sie bringt aus diesem Projekt für die aktuelle, hiesige Diskussion um LGBT-inklusive Gesellschaften erste Überlegungen mit. So kritisiert die Coalition of African Lesbians (CAL), in der die Partnerorganisationen vom afrikanischen Kontinent vernetzt sind, die Formulierung besonderer LGBTI-Rechte, denn sie sehen sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität als Teil menschlicher Sexualität, die alle betrifft: „Im Rahmen der geopolitischen Auseinandersetzungen zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden sind LGBTI-Rechte mittlerweile zu einem Kampffeld geworden, auf dem der Norden seine Überlegenheit gegenüber dem Süden demonstriert. Es ist eine politische Strategie des Nordens, spezielle LGBTI-Projekte gegen Diskriminierung im Süden zu finanzieren. CAL kritisiert, dass schwul-dominante Gruppen oft auf der Identitätspolitik beharren, die ihre Finanzierung aus dem Norden sichert. Für die Lesben und queeren Frauen ist eine Verbindung mit dem Kampf für Frauen- und Menschenrechte strategisch wichtiger, um Selbstbestimmung von Frauen über ihre Körper und ihre Leben zu realisieren.“ Und sie kommt zu dem Schluss: „Die offiziellen entwicklungspolitischen Ziele zum LGBTI-Thema hören sich gut an, sind in der Umsetzung aber vorwiegend eurozentrisch und meist ignorant gegenüber der exzellenten Arbeit der afrikanischen AktivistInnen (sic!). Es ist wichtig, das zu ändern!“20
Wie gehen wir mit Unterschieden und Macht um? Wie kann das Spielfeld egalisiert werden?
Wie sich die Partnerorganisationen in Sambia, Botswana und Namibia den Austausch vorstellen, zeigen ihre konkreten Themen, Erwartungen und Wünsche, von denen hier nur einige referiert werden: „Gemeinsame Überlegungen über die Dokumentation und Schaffung von Narrativen über nicht-konforme Lebensformen, um die Akzeptanz und die Lebensbejahung zu fördern.“ „Was ist unsere, was ist eure Strategie, um Freiheiten zu vergrößern?“ „Grundsätze unserer Nord-Süd Partnerschaft: Wie gehen wir mit Unterschieden und Macht um? Wie kann das Spielfeld egalisiert werden?“ „Dokumentation unserer Geschichte und Lebenswirklichkeit – es steht an, unsere Geschichten zu sichern und zu veröffentlichen!“ „Wir erwarten von jeder Respekt und Wertschätzung gegenüber der anderen Kultur.“ Und: „Wichtigste gemeinsame Ressourcen: Kreativität, Respekt, Liebe und Kunst.“ Mit Blick auf die Lage in Europa und Namibia formulierte Irene // Garoës vom Women’s Leadership Centre aus Namibia: “As feminists I think we are always looking for new ways of building mouvements for change – at the end of the day we are fighting patriarchy and all oppressive systems.“21 Und Florence // Khaxas vom Young Feminist Movement Namibia verband mit ihrem vorgetragenen Gedicht ein komplexes Dekolonisierungsprogramm: „My poem praised the ancestors in remembrance of the Genocide: I expressed the need of a quer decolonization project which addresses such issues as violence, patriarchy, LGBTI movement building and solidarity.“22
Generationenfragen
Nalumino Likwasi von der Women’s Alliance for Equality aus Zambia (WAFE) zeigte sich vom Lesben*-Frühlings-Treffen sehr bereichert. Aus einem Land kommend, in dem einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen zwischen Erwachsenen kriminalisiert werden, war es für sie schön, unter so vielen älteren Lesben zu sein, die sie zu Hause mit WAFE kaum erreichen kann. Sie fuhr mit einem Gefühl zurück nach Sambia, „that I can live a full, happy, and productive life even as a queer person.”23 Als frauenliebende Frau ein erfülltes, glückliches und produktives Leben zu führen, selbstbewusst, sichtbar und anerkannt, darum dreht sich die Arbeit von FLiP. Die Gründerinnengeneration möchte sich zunehmend zurückziehen und die Vorstandsarbeit im Verein an Jüngere weitergeben. Und so kamen zum dem Gespräch, das diesem Beitrag zugrunde liegt, zwei Generationen frauenliebender Frauen, Sabine und Isabelle, die von der Gründung, der Entwicklung und von aktuellen Herausforderungen erzählten.24Es sieht gut aus, dass die „lesbische Ruhrpottikone“ den Generationenwechsel produktiv vollziehen wird.
Isabelle, Jahrgang 1988, ist seit 2022 Vorstandfrau bei FLiP. FLiP war für sie eine wichtige Anlaufstelle während des Coming-Outs und nun will sie nicht nur Angebote „konsumieren“, sondern etwas zurückgeben und die Zukunft des Vereins mitgestalten: „Themen bleiben, zum Beispiel was die Sichtbarkeit von Lesben angeht, man weiß zwar, dass es sie gibt, dass sie da sind, doch in politischer Repräsentation gleichgeschlechtlicher Lebensweisen dominieren – wie in der gesamten Gesellschaft – immer die schwulen Männer.“ Für Isabelle gibt es noch viele Baustellen, denn trotz gesellschaftlicher Fortschritte wie die „Ehe für alle“ oder die zunehmende Akzeptanz von Regenbogenfamilien ist „Gendergerechtigkeit“ für gleichgeschlechtliche Lebensweisen nicht erreicht.
Sabine, Jahrgang 1961, ist seit dem Gründungsjahr dabei und sehr viele Jahre lang als Vorstandsfrau aktiv gewesen. Sie betont noch einmal die Bedeutung von Räumen für die Herausbildung eines Bewusstseins als Frauen und Lesben: Für sie war es der „Frauenraum“ an der Universität-GH Essen: „Wir verstanden uns als Feministinnen, vielleicht auch als lesbisch, wir wollten etwas Gemeinsames. Und das konnten wir am überzeugendsten dadurch zum Ausdruck bringen, dass wir uns im Frauenraum trafen, diskutierten, Veranstaltungen durchführten.“ Für Sabine hat sich ihr Lesbischsein aus der feministischen Bewegung heraus entwickelt. Eine Zusammenarbeit mit Männern kam für sie nicht infrage. Während dies ihrer politischen Sozialisation in der Frauen- und Lesbenbewegung entsprach, macht Isabelle auch ohne theoretische Hinführungen durch Feminismus und radikale Frauenbewegung die Erfahrung, dass überall, wo es um gemeinsame Projekte der Homosexuellenbewegung geht, schwule Männer um Macht- und Deutungshoheit kämpfen und Lesben an den Rand gedrängt werden. Es herrschen dort weiterhin männliche Rede- und Dominanzstrukturen. Deshalb ist es wichtig, weiterhin als Lesben – im Verein, im Verband, als Arbeitsgemeinschaft – für Sichtbarkeit zu kämpfen. Angesichts der herrschenden Homo- und Transfeindlichkeit gilt es selbstverständlich in der LSBTI*-Community zusammenzuhalten und immer wieder politische Bündnisse zu knüpfen, so, wie zum Beispiel bei F.E.L.S. – Forum Essener Lesben und Schwule – das FLiP mitgegründet hat, aber auch beim Ruhr CSD oder im lesbisch-schwulen Generationenprojekt. Doch zugleich ist es politisch zentral, den Anspruch auf eigene Repräsentation nicht aufzugeben.
Auf die Frage, ob in den 1980er Jahre die Lesbenbewegung mit ihren „Lesbenzentren“ in den Städten nicht wesentlich präsenter waren, als heute im Akronym LSBT und unter dem Label „queer“, rückt Sabine die historische Dimension gerade, die nicht zuletzt durch die Erzählungen von Zeitzeuginnen und die einsetzende Geschichtsschreibung mit Tendenzen zur Mythenbildung oft in eine Schieflage gerät „Also jetzt Mal: Lesbenzentrum. Wir hier in Essen hatten ein 60 Quadratmeter großes Ladenlokal, dort fand vielleicht zwei Mal in der Woche ein Angebot statt, sichtbar waren wir damit vielleicht für uns und in der Szene, aber in der politischen Kultur der Mehrheitsgesellschaft sicher nicht. Wir haben keine Werbung für das Zentrum gemacht, Anzeigen geschaltet oder so, wir haben uns getroffen – und da waren ja jetzt keine 80 Frauen, wenn wir 18 waren, waren wir viele.“25
Es hat definitiv Fortschritte bei der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen und der Einbeziehung von Trans*menschen gegeben, aber nun gilt es aufzupassen, dass diese Liberalisierungen nicht unter der Hand wieder zur Disposition stehen. Die FLiP-Frauen sehen sich dafür auch generationell gerüstet. Zur Vernetzung brauchen sie heute keinen 60 Quadratmeter großen Raum mehr oder eine Anrufbeantworterin, sondern das Wordwideweb, soziale Medien und Messenger-Dienste, über die sich alle Interessierten zum Tanzen, zum Diskutieren, zum Sport, zur Vorbereitung politischer Aktionen, zum Stammtisch, zum Kochen … verabreden können.
Dr. Uta C. Schmidt/ frauen/ruhr/geschichte
- FLiP e.V. FrauenLiebe im Pott, Verein zur Förderung lesbischer Lebensformen. Dokumentation der Vereinsgeschichte 1992-2019, Red./ Gestaltung v. Birgit F. Unger, Oktober 2020, Zugriff am 1.11.2023 unter https://flip-ruhr.de/dokumentationen-1.html
- Dieser Beitrag beruht neben Literatur und Überlieferungen auch auf einem Gespräch, das Uta C. Schmidt am 21. September 2022 mit Sabine und Isabelle von FLiP an der Universität Duisburg-Essen geführt hat.
- Interview mit drei Gründerinnen, in: FLiP e.V. FrauenLiebe im Pott, Verein zur Förderung lesbischer Lebensformen. Dokumentation der Vereinsgeschichte 1992-2019, Red./ Gestaltung v. Birgit F. Unger, Oktober 2020, S. 8.
- Vgl. Meyer, Adele (Hg.), Lila Nächte: die Damenklubs im Berlin der zwanziger Jahre. Mit einem Nachw. von Ilse Kokula, Berlin 1994.
- Vgl. „Wir kommen ans Licht“. Lesben in Bewegung, in: Come out, Essen! 100 Jahre lesbisch-schwule Emanzipation, Ausstellungskatalog zur gleichnamigen Ausstellung, Essen 2022, S. 80.
- Sabine im Gespräch mit Uta C. Schmidt, 21. September 2022 an der Universität Duisburg-Essen.
- Interview mit drei Gründerinnen, in: Dokumentation der Vereinsgeschichte 1992-2019, S. 8f. Dieser Aspekt wurde auch noch einmal von Sabine im Gespräch betont, das Uta C. Schmidt am 21. September 2022 an der Universität Duisburg-Essen geführt hat.
- Interview mit drei Gründerinnen, in: Dokumentation der Vereinsgeschichte 1992-2019, S.9.
- Vereinseintrag 1992, in: Dokumentation der Vereinsgeschichte 1992-2019, S. 4.
- Gespräch, 21. September 2022 an der Universität Duisburg-Essen.
- Vgl. Dokumentation der Vereinsgeschichte 1992-2019, S. 13.
- Vgl. Dokumentation der Vereinsgeschichte 1992-2019, S. 15.
- So Sabine im Gespräch mit Uta C. Schmidt, 21. September 2022 an der Universität Duisburg-Essen.
- So Isabelle im Gespräch mit Sabine und Uta C. Schmidt, 21. September 2022 an der Universität Duisburg-Essen.
- Vgl. https://lesben.nrw/
- Vgl. NL LAG 01-87 unter https://lesben.nrw/announcement/erstes-nrw-lesbentreffen-in-aachen
- Martina Peukert in Bischoff, Gabriele, Mit einem starken Netzwerk sichtbar sein. Landesarbeitsgemeinschaft Lesben in Nordrhein-Westfalen, in: Kuhnen, Stephanie (Hg.), Lesben raus! Für mehr lesbische Sichtbarkeit, Berlin 2017, S. 32-42, hier S. 32f.
- Dokumentation des Projekts „Partnerschaften zwischen zivilgesellschaftlichen Gruppen in NRW und Afrika“ 2018-2020, zu beziehen über FLIP e.V., www.flip-ruhr.de, S. 20.
- Ebd.
- Ebd.
- Ebd., S. 8: „Ich denke, wir als Feministinnen suchen immer nach neuen Wegen, um Bewegungen für Veränderungen aufzubauen – letztendlich kämpfen wir alle gegen das Patriarchat und alle Unterdrückungssysteme.“
- Ebd., S. 7: „Mein Gedicht gedachte unserer Vorfahren in Erinnerung an den Völkermord: Ich betonte die Notwendigkeit eines queeren Entkolonialisierungsprojekts, das Themen wir Gewalt, Patriarchat, Aufbau von LGBTI-Bewegungen und Solidarität behandelt.“
- Ebd., S. 11: …dass ich auch als queere Person ein erfülltes, glückliches und produktives Leben führen kann.“
- Gespräch zwischen Sabine, Isabelle und Uta C. Schmidt am 21. September 2022 an der Universität Duisburg-Essen.
- Sabine im Gespräch mit Uta C. Schmidt am 21. September 2022 an der Universität Duisburg-Essen.
https://www.flip-ruhr.de/
Kaldekirche 32, 45309 Essen-Schonnebeck
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