Luise Albertz / 1901-1979

Die erste Oberbürgermeisterin einer deutschen Großstadt

Mehr als drei Jahrzehnte regierte die emanzipierte Sozialdemokratin und Freidenkerin Oberhausen, eine Stadt, die durch viele Krisen erschüttert wurde. Als Kind einer typischen sozialdemokratischen Ruhrgebietsfamilie war Luise Albertz eine Frau, die ihre proletarische Herkunft und ihre Überzeugung, dass Ausgrenzung und Unterdrückung nicht hingenommen werden können, niemals verleugnet hat.

Gleich nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 bekam die gesamte Familie Schwierigkeiten, denn sie machte aus der Verachtung der neuen Machthaber keinen Hehl. Luise Albertz wurde nach dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ aus dem städtischen Dienst entlassen. Zwölf Jahre lang wurden die Familienmitglieder überwacht, mit Hausdurchsuchungen in Atem gehalten und zu einer Vielzahl von Vernehmungen vorgeladen. Ihr Vater war nach dem Attentat auf Hitler 1944 im Rahmen der „Aktion Gitter“ von der Gestapo verhaftet, ins KZ Sachsenhausen und von da nach Bergen-Belsen gebracht worden, wo sich seine Spuren verlieren.

Unmittelbar nach Kriegsende wurde Luise Albertz Sekretärin des Oberbürgermeisters in Oberhausen. Sie wollte dafür arbeiten, dass sich das Los der Kumpel und der armen Menschen im Ruhrgebiet verbesserte. Deshalb baute sie die SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands) mit auf, bekleidete mehrere Funktionen im Ortsverein und wurde 1946 zur Stadtverordneten gewählt. Bald kam sie in die Schlagzeilen: Nachdem die SPD als stärkste Partei aus der Kommunalwahl hervorgegangen war, wählte man sie zur ersten Oberbürgermeisterin einer deutschen Großstadt. Das war eine Sensation – nicht nur, weil sie die einzige Frau unter 2.710 Bürgermeistern in der Bundesrepublik war, sondern auch, weil man die Ausübung eines so verantwortlichen Amtes in der von der Schwerindustrie geprägten, vom Bombenkrieg lädierten Industriestadt Oberhausen nur Männern zutraute.

Bald galt sie in der Kommunalpolitik als ausgesprochene Führungspersönlichkeit. Dass das oft weniger ihren eigenen politischen Fähigkeiten zugeschrieben wurde, als dem großen Ansehen, das ihr Vater in der Ruhrgebietsstadt genossen hatte, störte sie wenig, denn sie verehrte ihn. Auch aus geäußerten Vermutungen, dass die Arbeit für die allein lebende Frau einen Ersatz für die nicht vorhandene eigene Familie darstellte, machte sie sich nichts: Die ganze Stadt – das ist meine Familie, konterte sie. Mit aller Kraft sorgte sie dafür, dass die hungernden Menschen der in Trümmern liegenden Stadt das Nötigste zum Überleben bekamen. Trotz ihrer großen Beliebtheit und Popularität dauerte ihre Amtszeit (zunächst) nur zwei Jahre. Nachdem die CDU (Christlich Demokratische Union Deutschlands) sich mit dem Zentrum vereinigt hatte, bildete sie die stärkste Partei. Nach der Gemeindewahl 1948 wurde ein CDU-Kandidat Oberbürgermeister.

Am 12. November 1956 wurde Luise Albertz erneut zur Oberbürgermeisterin gewählt. Diesmal wusste die Presse zu berichten, dass man sich keine Sorgen zu machen brauche, ob Oberhausen durch eine Frau gut regiert würde: „Die Zügel sind hier ebenso straff wie anderswo. Nur die Hände, die sie halten, sind sanft und weiblich.“ Die Amtszeit des „Kumpelinchen“, wie sie von den Kumpels an der Ruhr zärtlich genannt wurde, dauerte bis zu ihrem Tod.

Ihre Aufgabe war nicht leicht, denn das Revier wurde von der Kohlenkrise erschüttert. Die Oberbürgermeisterin rotierte zwischen Bonn und Berlin, Oberhausen und Düsseldorf und zwischen Rathaus und Rednertribüne, um sich für den Erhalt der Arbeitsplätze im Bergbau und in den großen Metall-, Stahl- und Chemieunternehmen einzusetzen. Im Mai 1967 demonstrierte sie an der Spitze von 4.000 Bergarbeitern gegen die Stilllegung der Oberhausener Zeche „Concordia“. Als eine Demonstration von 15.000 wütenden Bergleuten im Oktober 1967 gegen geplante Zechenstillegungen an der Ruhr in einen Aufstand umzuschlagen drohte, appellierte sie an die Beteiligten, Ruhe zu bewahren und schützte so die anwesenden Spitzenpolitiker vor den aufgebrachten Kumpels. Das brachte ihr bei den Bergleuten freilich auch Kritik ein. Sie jedoch vertrat die Meinung, dass Proteste nur Sinn machten, wenn sie Kräfte zur Krisenbewältigung freilegten. Der Schlichtungserfolg gab ihr Recht. Von nun an wurde sie zur Symbolfigur, zur „Mutter Courage“ des Ruhrgebiets. In den folgenden Jahren konnte sie lediglich versuchen, die sozialen Folgen für die Bergleute und ihre Familien durch neue krisenfeste Erwerbsarbeitsplätze und kontinuierlicher Strukturverbesserungen im Ruhrgebiet zu mildern, denn die Zeit der Kohle gehörte der Vergangenheit an.

Neben ihrer Arbeit als Oberbürgermeisterin gelang Luise Albertz 1949 der Aufstieg in den Bundestag, wo sie sogleich Schriftführerin des Präsidiums und bis 1959 Vorsitzende des Petitionsausschusses wurde. Dort konnte sie ihr Anliegen, sich für die sozial Schwachen und Bedrängten einzusetzen, auf Bundesebene weiterführen. Sie gehörte dem Fraktionsvorstand der SPD und dem Vorstand des Deutschen Bundestags an. Weitere Schwerpunkte ihrer Arbeit waren Wohnungsbau-, Sozial- und Gleichstellungspolitik sowie der Kampf gegen die Erwerbslosigkeit. Für ihre Geschlechtsgenossinnen, die sie immer wieder ermutigte, sich am politischen Geschehen zu beteiligen, war sie Vorbild, denn sie war eine unabhängige und freie Frau, die ihre Anliegen mit Geschick und Härte, aber mit Güte und Verständnis durchsetzte.

Zu ihrem 65. Geburtstag am 22. Juni 1966 wollte sie keine Geschenke, keine Ehrungen und noch nicht einmal das ihr zugedachte Bundesverdienstkreuz. Politische Arbeit war für sie eine selbstverständliche Pflicht. Ihr Traum für das Ende des Jahrtausends war, so sagte sie es einem Reporter, „dass wir für die Schwächsten unserer Gemeinschaft, für Kinder, Kranke, Behinderte und auch Betagte, optimal gesorgt haben werden.“ Wenn sie die Jahrtausendwende erlebt hätte, wäre sie sicher enttäuscht gewesen. Willy Brandt wies zu ihrem Abschied darauf hin, dass sie diejenigen eines Besseren belehrt habe, die Politik immer noch für eine „Männersache“ gehalten hatten.

Dr. Gisela Notz / Berlin

Orte:

Rathaus Oberhausen, Schwartstraße 72, 46045 Oberhausen

Literatur:

Notz, Gisela, Frauen in der Mannschaft, Bonn 2003, S. 111-129. 

Zitation: Notz, Gisela, Luise Albertz, Version 1.0, in: frauen/ruhr/geschichte, https://www.frauenruhrgeschichte.de/biografien/luise-albertz/

Beitrag (ohne Bilder und Quellen) lizensiert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0, International Lizenz Creative Commons Lizenzvertrag
Creative Commons Namensnennung

Copyright © 2022 frauen/ruhr/geschichte und Autor:innen.