Hl. Barbara

Eine eingewanderte Schutzheilige für den Ruhrbergbau

„In unserem Gebiet wurde nach dem vorletzten und letzten Krieg das Barbara-Brauchtum intensiviert durch den Zustrom von Knappen aus den östlichen Gebieten, in denen St. Barbara seit langem verehrt wurde. Der schöne Brauch, ihren Namenstag am 4. Dezember festlich zu begehen, hat auch bei uns in den letzten Jahren einen erfreulichen Anklang gefunden.“ Das schrieb der Bergarbeiterdichter Willy Bartock, nach dem Krieg Kulturbeauftragter der Duisburger Zeche Walsum, 1951 in einem Artikel für die Werks-Zeitschrift Der Kumpel.

Zwar war die Heilige Barbara im Ruhrgebiet bislang keine Unbekannte gewesen. Als eine der 14 Nothelferinnen gehört sie seit dem 14. Jahrhundert zu den eher populären katholischen Schutzheiligen und wird zum Schutz vor jähem Tod sowie als Beistand der Sterbenden angerufen. Auch im Ruhrgebiet weihte man ihr eine Reihe von Kirchen oder Altären, so z. B. in Unna oder in Recklinghausen, oder sammelte Reliquien, so z.B. in Syburg oder in Essen. Eine Schutzheilige allein für Bergleute war sie hier allerdings weder vor der Industrialisierung noch im industriellen Aufschwung des 19. Jahrhunderts. Sie blieb Ansprechpartnerin auch für gefangene Mädchen, Architekten und Maurer, Dachdecker und Feuerwehrleute, Artilleristen und Waffenschmiede, Köche und Totengräber und viele andere Berufsgruppen, deren Arbeit gefährlich war oder die Bezüge zu ihrer Legende aufwiesen. Deren Kern ist, dass die zum Christentum übergetretene Tochter eines heidnischen Königs erst in einen Turm gesperrt und, weil sie ihrem Glauben nicht abschwören will, vom eigenen Vater enthauptet wird, der daraufhin postwendend einem Blitzschlag zum Opfer fällt.

Zur Schutzheiligen vor allem der Bergleute entwickelte sich die Heilige Barbara im 19. Jahrhundert vor allem in Oberschlesien – und als solche wanderte sie um die Jahrhundertwende, nach dem Ersten und insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg mit den Arbeitsmigranten von dort ins Ruhrgebiet zu. „Den Anfang zu diesen großen Feiern der gesamten Werksfamilie machten unsere Männer, die aus den östlichen Kohlegebieten, aus der Slowakei, aus Schlesien und aus dem Sudetenland stammten. Ihr mitgebrachtes Brauchtum pflegten sie auch hier weiter, wo der Barbaragedanke in der junggewachsenen Bergbauindustrie noch nicht heimisch geworden war“, hieß es 1952 in der Zeitschrift Der Kumpel.

Immer mehr Zechen veranstalteten nun Barbarafeiern, immer mehr Heime, Straßen und Kirchen wurden nach der Heiligen benannt, ihr Bildnis breitete sich in immer mehr Kirchen und Vereinshäusern aus sowie auf Medaillen und Fahnen.

Dass die Verehrung der Heiligen Barbara als Schutzheilige der Bergleute im Revier vor allem nach 1945 einen bemerkenswerten Aufschwung nahm, war allerdings nicht nur der Traditionspflege der Zuwanderer geschuldet, sondern auch eine von Kulturpolitikern aus dem Bergbau gezielt gesteuerte und forcierte Entwicklung. Sie wollten den jungen und daher traditionsarmen Steinkohlenbergbau an der Ruhr kulturell aufwerten und die nach dem Zweiten Weltkrieg erneut überaus heterogen zusammengesetzten Belegschaften auf der Grundlage einer neuen Identität zusammen binden. Die Integration und Modernisierung der Barbara von der katholischen Heiligen zur ökumenischen Schutzpatronin aller Bergleute spielte hier eine wichtige Rolle.

Die entscheidenden Impulse dazu kamen aus Bochum, wo vertriebene Oberschlesier 1951 eine Landsmannschaft gegründet und 1952 ihre erste Barbarafeier veranstaltet hatten. 1953 war Heinrich Winkelmann, Direktor des Bochumer Bergbaumuseums und Vorstandsvorsitzender der Vereinigung der Freunde von Kunst und Kultur im Bergbau e.V., einer der Gäste und erkannte sogleich das kulturpolitische Potential, das der Barbaratradition und -verehrung der Oberschlesier innewohnte: Hier war das Brauchtum, das dem Ruhrkohlenbergbau fehlte, und Winkelmann sah es „deshalb als unsere heilige Pflicht an [sehen], all das zu fördern, was vom schlesischen Brauchtum ins Ruhrrevier gebracht worden ist, [damit] diese Tradition nicht nur im Rahmen schlesischer Feste gepflegt wird, sondern als schönes Brauchtum auch auf unsere Bergleute übergeht“, schrieb ein nicht namentlich zeichnender Autor 1954 in der Zeitschrift Der Anschnitt. Mit zahlreichen Auftragsarbeiten sorgten Winkelmann und die Vereinigung in den folgenden Jahren dafür, dass die Heilige Barbara im Ruhrbergbau populär wurde.

Zu diesen Auftragswerken gehörte auch das St.-Barbara-Spiel der Bergleute des Dichters Erwin Sylvanus, später Mitbegründer der Dortmunder Gruppe 61. Das Stück sollte „sinnfällig die Beziehung der Barbaragestalt zur bergmännischen Welt deutlich [machen]. Diese Beziehung ist in der ursprünglichen Legende nicht enthalten.“ Sylvanus löste diese Aufgabe, indem er die Heiligenlegende mit einer Sage aus der Region verknüpfte: Er ließ die Barbara auf der Flucht einen Hirten treffen, der ihr beisteht und den sie zum Dank später in einen Berg führt, ihm das schwarze Gold (die Kohle) zeigt und ihn mit der Übergabe einer Grubenlampe zum ersten Bergmann kürt. Das Hirten-Kohle-Motiv spielt auf die Sage an, der zu Folge Hirten im Mittelalter ihr nächtliches Holzfeuer an einer Stelle errichteten, an der es am nächsten Morgen immer noch glühte, woraufhin sie bei der Ursachenforschung ein austretendes Kohlenflöz entdeckten. Sylvanus Stück erfuhr zwischen 1955 und 1966 zahlreiche Aufführungen, meist im Rahmen von betrieblichen Barbarafeiern. Außerhalb der Betriebe brachten ökumenische Gottesdienste die Barbara-Tradition auch den Nicht-Katholiken nahe.

1969 wurde die Heilige Barbara aus dem liturgischen Heiligenkalender gestrichen, da ihre geschichtliche Existenz umstritten war. Dass sie im Rahmen von „Nachverhandlungen“ zumindest in den Regionalkalender für das deutsche Sprachgebiet wieder aufgenommen wurde, ist möglicherweise auch Ergebnis ihrer vor allem im Ruhrgebiet erfolgten Aktualisierung, Modernisierung und Popularisierung.

Dr. Dagmar Kift / LWL-Industriemuseum

Orte:

Barbara-Skulpturen, Fenster, Altäre oder Kirchen finden sich im gesamten Ruhrgebiet, desgleichen Barbara-Straßen oder Heime. Hier lohnt der Blick in die unmittelbare Umgebung. Wer an Sammlungen und Traditionspflege interessiert ist, wird vor allem in Bochum fündig:
Deutsches Bergbau-Museum Bochum, Europaplatz, 44791 Bochum (zeigt im EG des neuen Erweiterungsbaus die umfangreiche Barbara-Sammlung von Jutta und Rolfroderich Nemitz)
Im Dezember 2010 veranstaltete das Deutsche Bergbau-Museum Bochum in Zusammenarbeit mit dem Landesverband der Berg- und Knappenvereine den 13. Bochumer Knappentag. Traditionell nehmen jährlich ca. 45 Knappenvereine an der Bergparade zu Ehren der heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Bergleute, teil. Dabei ziehen etwa 600 Bergknappen, Fahnen- und Fackelträger in Tracht und sechs Spielmannszüge vom Bergbau-Museum über den Nordring und den Bongard-Boulevard zur Propsteikirche, in der ein ökumenischer Gottesdienst stattfindet. (angelehnt an: Projektbuch Bochum RUHR.2010, hg. v. Stadt Bochum, S. 51)
Dem „St.-Barbara-Spiel der Bergleute“ von Erwin Sylvanus widmet sich eine kleine Abteilung der Dauerausstellung „Keine Herrenjahre“ des LWL-Industriemuseums Zeche Zollern in Dortmund. Ausgestellt sind das Textbuch sowie Einladung und Szenenfotos von der Uraufführung am 4.12.1955.

LWL-Industriemuseum Zeche Zollern, Grubenweg 5, 44388 Dortmund

Literatur:

Kift, Dagmar, "Die Bergmannsheilige schlechthin". Die Heilige Barbara im Ruhrgebiet der 1950er Jahre, in: Der Anschnitt 58.2006, H.6, S. 254-263.
Krins, Franz, Die neuere Barbaraverehrung in Nordrhein-Westfalen. Ein Beitrag des Ostens zur Volkskunde Westdeutschlands, in: Jahrbuch für Volkskunde der Heimatvertriebenen 2.1956, S. 154-166.
Nemitz, Rolfroderich und Thierse, Dieter, St. Barbara. Weg einer Heiligen durch die Zeit, Essen 1995.

Zitation: Kift, Dagmar, Hl. Barbara, Version 1.0, in: frauen/ruhr/geschichte, https://www.frauenruhrgeschichte.de/biografien/hl-barbara/

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