Geister, Spuren, Echos: Arbeiten in Schichten

bis 25. April 2021

Im Zentrum der Ausstellung Geister, Spuren, Echos: Arbeiten in Schichten stehen drei künstlerische Recherchen, die 2020 realisiert wurden. Zwischen Oktober 2020 und April 2021 werden sie in drei aufeinander folgenden, sich in einem Raum überlagernden Schichten gezeigt. Die Akademie der Künste der Welt lud Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen ein, sich in transdisziplinären Konstellationen mit je einem historischen Kontext, einem Detail auseinanderzusetzen, meist auf bereits andauernde Recherchen und Bemühungen aufbauend. Die drei Projekte sind Formen der Bezugnahme – auf Ereignisse, Kontexte und Biografien, die zwischen den 70er – 90er Jahren im Ruhrgebiet verortet werden können und das Thema Arbeit betreffen. Aufgrund ihrer geringen Beachtung in einer hegemonialen Geschichtsschreibung erschienen sie uns zunächst als Geister, Spuren und Echos, als Gegennarrative vielleicht. Doch aus einer anderen Position, oder mit der richtigen Aufmerksamkeit, werden Geister, Spuren und Echos alles andere als marginal.

Geister
Die erste Schicht Geister entstand in Kooperation mit dem LWL-Museum Henrichshütte und fokussiert die Protestformen der Hattinger Fraueninitiative. Die queere Performancekünstlerin und Aktivistin Kathrin Ebmeier hat im Austausch mit der Historikerin Alicia Gorny und weiteren Beteiligten ein Forum für ein erneutes Zusammenkommen ehemals Beteiligter eröffnet. Im Wiederbegegnen und neu Kennenlernen ging es um bestärkende, und schmerzhafte Erinnerungen, gebrochene Biografien und die Frage, was bleibt – von einer Zeit der gemeinsamen Politisierung, aber auch der Desillusionierung. „Macht Thyssen uns die Hütte platt, wird Hattingen zur Geisterstadt“ warnte die Fraueninitiative 1987 auf Demonstrationen in Gespensterkostümen vor den Folgen der Werksschließung. Die Geisterdemo von 1987 war eine kreative Intervention in den öffentlichen Raum, aber auch in männlich-gewerkschaftlich dominierte Protestformen.
Als Teil der künstlerischen Arbeit entstand ein Plakat, das den Kampf der Hattinger Fraueninitiative in diese bislang nur unfertig aufgearbeitete Historie einfügt: die Rolle von Frauen in betrieblichen Arbeitskämpfen im Ruhrgebiet. In der Ausstellung, die unter künstlerischer Mitarbeit von Ale Bachlechner entstand, ist auch die Dokumentation eines Aktionstags im Herbst 2020 in Hattingen zu sehen. Darüber legt sich eine mit Augmented Reality-Technik umgesetzte Geisterbeschwörung, die sich so in das Zukünftige öffnet.

Spuren
Die Schicht Spuren widmet sich Literat*innen, die in Köln und dem Ruhrgebiet tätig waren, und befragt deren Erinnerung in unserer postmigrantischen Gegenwart. Die Literaturwissenschaftlerin Nesrin Tanç hat für ihre Recherchen Archivalien zur Kulturgeschichte der Immigrant*innen aus Anatolien im Ruhrgebiet, insbesondere Duisburg, zusammengetragen und in verschiedenen Konstellationen künstlerisch verhandelt. Viele der Materialien fand Tanç in Privathäusern, jenseits offizieller Archivstrukturen, wie etwa die Literaturzeitschrift dergi/die Zeitschrift, die seit 1986 alle zwei Monate von einem Literaturkreis aus Duisburg herausgegeben wurde. Manche der Autor*innen waren über Anwerbeabkommen als Arbeiter*innen in die Region gekommen, andere als professionelle Literat*innen – oder beides.
Ihre wissenschaftliche, künstlerische und kulturaktivistische Arbeit führt Tanç hier in einer Installation zusammen, die mit der Illustratorin Irem Kurt entstand. Die Elemente ergeben einen offenen Raum: Das Haus, das es nicht gibt. Die Abwesenheit des Archivs, in dem die Spuren türkisch-, kurdisch-, armenisch-, griechischsprachiger Literat*innen hätten gesammelt werden sollen, wird als fragile Konstruktion in den Raum gestellt. Emine Sevgi Özdamars Stück Perikızı: Ein Traumspiel bildet einen erzählerischen Rahmen der Recherchen. Ausschnitte daraus sind, zusammen mit Texten von Lütfiye Güzel von den Autorinnen gelesen, in der Ausstellung zu hören. Tançs Arbeit entsteht im engen Austausch und teils koproduziert mit Interkultur Ruhr.

Echos
Im dritten Teil lädt die Metapher des Echos ein, ausgehend von der Person Fasia Jansen (1929-1997) als Künstlerin im Arbeitskampf ihre künstlerisch-aktivistische Praxis nachhallen zu lassen. Die Künstlerin Aline Benecke studierte mit dem neu gegründeten Fasia Jansen Ensemble (Aischa Abdirahman, Feben Amara, Yemisi Babatola, Melanie Erzuah, Jocelina Fatouma Ndimbalan, Felicia Angélique Hilgert, Doude, Ezgi Özcan) einige ihrer Lieder ein. Anliegen war es, die Stücke in einem mehrheitlich Schwarz positionierten Chor wieder zur Aufführung zu bringen. Dabei stand sie im engen Austausch mit der Geschichts- und Kulturwissenschaftlerin Nicola Lauré al-Samarai. Die Sänger*innen und Performer*innen des Fasia Jansen Ensembles haben sich im People of Colour Community Chor kennengelernt, der unter der Leitung von Dr. Dr. Daniele G. Daude wöchentlich in Berlin probt.
Die Arbeit mit dem Fasia Jansen Ensemble ist ein sich in Beziehung Setzens: Ein Tribut an eine außergewöhnliche Schwarze deutsche Biographie und eine Künstlerin, die sich mit ihrer Arbeit in den Dienst eines politischen Kampfs gegen Ausbeutung, Kapital, Faschismus und Unterdrückung stellte. Widerstand ist hier nicht zuletzt, wie auch bei Fasia Jansen, der Enthusiasmus beim gemeinsamen Singen. In Schwarzer Tradition ruft das Ensemble mit Musik und Gesang Fasia Jansen auf und lädt sie in diasporische Räume ein. Für die Ausstellung entstand ein Film, der das Fasia Jansen Ensemble beim Singen vor klassizistischer Kulisse zeigt: Eine Choreographie, die Undurchdringlichkeit, Black Joy und „Fasianismus“, diasporische Fotografietraditionen und afrofuturistische Referenzen zusammenbringt.

Kuratiert von Madhusree Dutta und Eva Busch. Eine Kooperation der Akademie der Künste der Welt, Köln, mit RVR/Interkultur Ruhr und dem LWL-Industriemuseum – Westfälisches Landesmuseum für Industriekultur.

Öffnungszeiten: Informationen unter www.adkdw.org/de/

Veranstaltungsort:
Academyspace
Herwarthstraße 3, 50672 Köln

Zitation: , Geister, Spuren, Echos: Arbeiten in Schichten, Version 1.0, in: frauen/ruhr/geschichte, https://www.frauenruhrgeschichte.de/geister-spuren-echos-arbeiten-in-schichten/

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